Das demokratiewidrige Zwangssystem der staatlichen Krankenversicherung

Die staatliche Krankenversicherung wurde vor einhundertzwanzig Jahren im obrigkeitsstaatlichen Kaiserreich eingeführt, betraf aber anfänglich mit dem vielfach in Not und Abhängigkeit befindlichen Industrieproletariat nur knapp 10 % der Bevölkerung, für die sie damals sicher ein großer sozialer Fortschritt war. Sie hat den Übergang in die Demokratie überdauert und ist inzwischen zum bürokratischen Zwangssystem für über 90 % der Bevölkerung geworden, die als mündige Bürger imstande wären, ihre Krankheitsvorsorge selbst in die Hand zu nehmen.

Gesundheit und Krankheit bilden einen elementaren persönlichen Lebensbereich des Menschen. Jede Krankheit greift tief in sein Lebensgefüge ein und bringt es aus dem Gleichgewicht. Nur der einzelne Mensch selbst kann die Verantwortung für seine Gesundheit übernehmen, denn sie ist ein Teil von ihm und seinem persönlichen Lebensschicksal. Das daraus fließende Selbstbestimmungsrecht muss sich in den Organisationsformen des Gesundheitswesens wiederfinden: Diese dürfen nur aus individueller Selbstbestimmung geprägt und gestaltet sein.

Die grundlegende Beziehung im Gesundheitswesen ist die zwischen dem Patienten und dem Arzt seines Vertrauens, der die ihn ansprechenden Heilverfahren und Heilmittel anwendet. Die aus dem Selbstbestimmungsrecht und dem Freiheitsrecht von Kunst, Wissenschaft und Forschung folgende Therapiefreiheit des Arztes und die freie Therapiewahl des Patienten lassen ein freies, gleichberechtigtes Vertragsverhältnis entstehen, in dem der Arzt dem  Patienten seine Kosten in Rechnung stellt und dieser dadurch ein Bewusstsein für die Höhe not-wendiger und weniger notwendiger Kosten ausbilden kann.

Dieses Kostenbewusstsein entwickelt sich umso mehr, als die Krankheitskosten, wenn sie eine entsprechende Höhe nicht übersteigen, aus dem laufenden eigenen Einkommen des Patienten bezahlt werden. Denn sie gehören im Grunde zu den unvermeidlichen Lebenshaltungskosten hinzu. Für den Fall, dass die Krankheitskosten darüber hinausgehen, schließt er sich sinnvollerweise einer Krankenversicherung oder versicherungsähnlichen Solidargemeinschaft an, wozu er auch durch Rahmengesetze des Staates verpflichtet werden könnte.

Wesentlich ist aber, dass jeder Bürger aus seinem Selbstbestimmungsrecht die freie Wahl haben muss, sich unter der Vielzahl unterschiedlicher Versicherungen oder Solidargemeinschaften für diejenige zu entscheiden, die seinen Bedürfnissen am besten entspricht, z.B. weil sie die von ihm bevorzugten Heilverfahren und Heilmittel überhaupt oder besonders günstig erstattet. Und die Beziehung zur Versicherung kann nur ein freies Vertragsverhältnis gleichberechtigter Parteien sein, in dem vereinbarte Bedingungen nie einseitig geändert werden können.

Auch hier könnte der Staat aus dem Sozialstaatsprinzip von Art. 20 des Grundgesetzes rechtlich die Verpflichtung vorschreiben, dass die Höhe der Krankenversicherungsbeiträge grundsätzlich an die Höhe des Einkommens gebunden ist, damit Einkommensschwächere nicht benachteiligt werden und wirkliche Solidargemeinschaften entstehen.

Vertragspartner der Krankenversicherung kann nicht der Arzt, sondern nur der Patient sein, so dass dieser die Arztrechnung seiner Versicherung zur Erstattung einreicht und ihr gegenüber die Notwendigkeit der Kosten verantwortet, so wie es grundsätzlich auch in anderen Versicherungsfällen der Fall ist.

Demgegenüber bildet heute der Staat über die von ihm autorisierten Körperschaften öffentlichen Rechts Krankenversicherungen, deren Versicherungsbedingungen durch Gesetz und Verordnung inhaltlich geregelt werden und jederzeit einseitig, gegen den Willen des Versicherten geändert werden können. Möglichst alle Bürger sollen in einer der vom Staat organisierten Versicherungen Zwangsmitglied sein. Ihre festgesetzten Beiträge werden zwangsweise eingezogen. Welche Heilverfahren, therapeutische Leistungen und Heilmittel bezahlt werden, wird von oben diktiert. Der Einzelne hat keine Einwirkungs- oder Ausweichmöglichkeit, geschweige denn einen vertraglichen Gestaltungsspielraum. Aber auch die in der gesetzlichen Versicherung arbeitenden Menschen können ihr Berufsfeld nicht nach ihrem Fachwissen, ihren Ideen und Einsichten selbst bestimmen und frei gestalten, sondern sie sind lediglich ausführende Organe innerhalb einer bürokratischen Verwaltungshierarchie.

Die gesetzliche Krankenkasse ist jedoch nicht nur eine gewöhnliche Versicherung, sondern „Vater Staat“ tritt darüber hinaus mit dem obrigkeitlichen Anspruch der totalen Gesamtversorgung auf. Den untergebenen Zwangsmitgliedern werden keine Krankheitskosten erstattet, sondern die medizinische Behandlung, therapeutische Betreuung und die Arzneimittel selbst direkt zur Verfügung gestellt. Der Patient kann nicht Erstattung von Geld, sondern Sachleistungen erwarten. Weil Verwaltungsleute diese selbst nicht erbringen können, werden Ärzte, Therapeuten und Apotheker in Dienst genommen, die diese Leistungen im Auftrag der GKV den Patienten zukommen lassen.

Dies hat zur Folge, dass nicht ein Rechtsverhältnis zwischen Patient und Arzt besteht, sondern eines zwischen Patient und GKV einerseits und zwischen GKV und Arzt andererseits. Der Arzt stellt daher nicht dem Patienten eine Rechnung aus, sondern rechnet mit der GKV ab, in deren Auftrag er auf Veranlassung des Patienten jeweils tätig wird. Er steht ebenso wie der Patient zur GKV in einem Unterordnungsverhältnis: Er muss die medizinischen Leistungen erbringen, die im staatlich diktierten Leistungskatalog enthalten sind, andere werden ihm nicht bezahlt. Er wird zwar anders als der Patient nicht zwangsrekrutiert, sondern wird freiwillig Kassenarzt, hat aber angesichts dessen, dass über 90 % der Bevölkerung am Tropf der GKV hängen, kaum eine andere Wahl.

Dieses Verhältnis des Arztes zur GKV hat nun eine weitere kostenintensive Zwangseinrichtung zur Folge: die Kassenärztliche Vereinigung (KV). Auch sie ist nicht etwa eine privatrechtliche Einrichtung, zu der sich Kassenärzte freiwillig zur gemeinsamen Interessenvertretung zusammengeschlossen hätten, sondern eine Körperschaft öffentlichen Rechts, in der alle Kassenärzte Zwangsmitglieder sind. Sie entlastet einerseits die Ärzte von der aufwendigen Abrechnungsarbeit mit der GKV, die sie zentral für die Ärzte nach deren Angaben durchführt und ihnen die Vergütung überweist, andererseits ist sie ein fachkundiges Überwachungsinstrument, das streng darauf achtet, dass sich die Ärzte mit ihren diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen genau innerhalb der staatlichen Direktiven bewegen, andernfalls sie ihnen nicht vergütet werden.

Das Grundrecht des mündigen Menschen, seine Lebensverhältnisse eigenverantwortlich zu bestimmen und zu gestalten, wird also in der vertikal, hierarchisch aufgebauten gesetzlichen Zwangsversicherung weitgehend ausgeschaltet. Ein auf der Selbstbestimmung des Menschen basierendes Gesundheitswesen kann sich nur in einer horizontalen Struktur entfalten, in der sich freie und einander gleichberechtigte Menschen in freien Vertragsverhältnissen miteinander verbinden und ihre unterschiedlichen Bedürfnisse aufeinander abstimmen.

So entsteht ein Netz von freien Vertragsverhältnissen, in dem der Patient im Mittelpunkt steht. Er geht mit dem Arzt bzw. dem Krankenhaus, den Therapeuten und Apotheken rechtliche Beziehungen ein und erhält von ihnen ihre Rechnungen, die er ggfls. ganz oder teilweise seiner von ihm frei gewählten Krankenversicherung zur Erstattung einreicht. Drum herum gruppieren sich Vertragsverhältnisse zwischen Arznei- und Heilmittelherstellern einerseits und dem Fachhandel (Apotheken, Optikern, Sanitätshäusern) bzw. Ärzten und Krankenhäusern andererseits.

Die gesetzlichen Zwangs-Krankenkassen müssen in freie, privatrechtliche Versicherungen umgewandelt und die kassenärztlichen Vereinigungen ersatzlos aufgelöst werden. Aufgabe des demokratischen Staates als zentralem Hort des Rechtslebens kann es nur sein, durch rechtliche Rahmenbestimmungen zum Schutz des Einzelnen eine allgemeine  Versicherungspflicht festzusetzen und dafür zu sorgen, dass die Grundrechte jedes Einzelnen auf freie Selbstbestimmung, auf Wissenschafts- und Therapiefreiheit und rechtliche Gleichheit gewährleistet sind und nicht etwa durch offene oder versteckte Privilegien bestimmter Gruppen und ihr damit verbundenes Übergewicht eingeschränkt oder ausgeschaltet werden.

Der kranke Mensch ist hilfsbedürftig, sowohl menschlich-medizinisch, als in schwereren Fällen auch finanziell. Er ist daher auf die Solidarität seiner Mitmenschen angewiesen. Deshalb hat der Rechtsstaat aus dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes (Art. 20) auch dafür zu sorgen, dass Solidarität zu einem Gestaltungsprinzip im Gesundheitswesen wird. Die mit der bisherigen gesetzlichen Krankenversicherung zu Recht verbundene Koppelung der Beitragshöhe an die Einkommensverhältnisse muss rechtliche Verpflichtung für alle freien privatrechtlichen Krankenversicherungen werden. Dieses tief berechtigte Solidaritätsprinzip muss auch die Folge haben, dass auch diejenigen versicherungspflichtig sind und sich einer Krankenversicherung oder sonstigen Solidargemeinschaft anschließen müssen, die es aufgrund ihres großen Vermögens für sich selbst gar nicht nötig hätten.

Man wird sich vorstellen können, dass die Versicherungen, die das Solidaritätsprinzip am besten durchführen und das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, unter den soliden medizinischen Therapien und Arzneien diejenigen seines Vertrauens zu wählen, uneingeschränkt achten, die größte Anerkennung und Verbreitung finden werden.

Der Wegfall des Staatsdirigismus darf indessen nicht bedeuten, das Gesundheitswesen unreflektiert den Profitinteressen eines „freien“, sprich: ungezügelten Marktes zu überlassen. Krankheit ist eine existenzielle Not, die solidarische, brüderliche Hilfe erfordert. Das Bedürfnis des Kranken nach Hilfe macht daher jede Waren- und Dienstleistung im Gesundheitswesen ihrem inneren Wesen nach zur dienenden barmherzigen Hilfeleistung. Das Streben nach möglichst hohem Profit bedeutet hier Ausnützung der Notsituation eines Menschen, um daraus egoistische Vorteile herauszuschlagen. Dies müsste in einer zivilisierten Kultur als zutiefst unmoralisch und verabscheuungswürdig empfunden werden.

Die zunehmende Privatisierung kommunaler oder universitärer Krankenhäuser in der Weise, dass sie auf profitorientierte Aktiengesellschaften übertragen werden, ist deshalb eine verheerende Fehlentwicklung, deren soziale Schäden immer deutlicher sichtbar werden. Privatisierung, also die Herausnahme der Krankenhäuser aus der Verantwortung politischer Körperschaften, ist grundsätzlich richtig. Aber sie müssen auf gemeinwohlorientierte Unternehmen übergehen. Gewinnstreben ist hier nur insoweit berechtigt und notwendig, als ein angemessener Lebensunterhalt der Leistungserbringer und Investitionen für Erhalt und Weiterentwicklung ihrer Betriebe zu sichern sind. Ein darüber hinausgehendes Profitstreben müsste im Gesundheitswesen durch die rechtliche Rahmensetzung des Staates ausgeschlossen werden, so wie das heute schon bei gemeinnützigen Institutionen der Fall ist.

5 Kommentare zu „Das demokratiewidrige Zwangssystem der staatlichen Krankenversicherung“

  1. Vielen Dank für eine so deutliche und klare Darstellung eines souveräneren Verhältnisses zwischen Arzt und Patient und Krankenversicherung und Patient. Die Rolle des Staates als Träger der Rahmenbedingungen ist ebenso schön hervorgehoben.

  2. Schau dir mal die Artabana Gemeinschaften an, die leben seit vielen Jahren die hier formulierten und selbstverständlichen Grundsätze

  3. Pressemitteilung des „Familienbund der Katholiken, Landesverband Bayern“

    12. April 2013
    Krankenversicherung erzielt
    Überschüsse mit Familien
    Geschätzt: Jährlich 20 Milliarden EUR oder 3.000 EUR je Familie

    Keine Familienförderung in der GKV, sondern Versicherungsförderung durch Familien

    Die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) erzielen Überschüsse mit Familien. Das zeigen Berechnungen des Familienbundes der Katholiken.
    Trotz der beitragsfreien Mitversicherung von Familienangehörigen erzielen die gesetzlichen Krankenversicherungen Überschüsse an Familien. Grund ist, dass die Beitragszahlungen der Eltern ein Mehrfaches ihrer Gesundheitskosten betragen.
    Ein durchschnittlich verdienender Familienvater bringt jährlich über 6.000 EUR in die Krankenversicherung ein, kostet sie aber selber nur 1.500 EUR.
    Eine halbtags erwerbstätige Mutter bringt der Versicherung im Schnitt jährlich 2.600 EUR, kostet sie aber nur 2.000 EUR. Die Gesundheitskosten minderjähriger Kinder liegen pro Kopf und Jahr bei 1.200 EUR bis 1.400 EUR und werden von den Überzahlungen der Eltern mühelos abgedeckt.
    Eine durchschnittlich erwerbstätige Familie mit zwei Kindern (Vater Vollzeit, Mutter halbtags erwerbstätig) bringt der gesetzlichen Krankenversicherung jährlich 9.000 EUR Beiträge ein, verursacht aber nur Kosten in Höhe von 6.100 EUR. Auf diese Art bringt die Familie der Versicherung knapp 3.000 EUR mehr ein, als sie an Kosten verursacht. Hochgerechnet auf Deutschland kommt der Familienbund für das Jahr 2008 zu der Schätzung, dass die Familien circa 20 Milliarden EUR mehr in die gesetzliche Krankenversicherung einzahlten, als sie aus ihr erhielten.

    Schwere Bilanzierungsfehler bezüglich der Familienförderung
    Das Bundesfamilienministerium weist allein für das Jahr 2008 einen Betrag von 14 Milliarden EUR Familienförderung durch die gesetzliche Krankenversicherung aus. Dieser Betrag kommt dadurch zustande, dass die beauftragten Experten nicht die kompletten Familien bilanzierten. Betrachtet wurden allein die Kinder. Sie verursachten 14 Milliarden EUR Kosten, brachten aber keine Beiträge. Durch das Ausblenden der Eltern wird kaschiert, dass Eltern der Krankenversicherung mehr einbringen, als sie und ihre Kinder zusammen an Kosten verursachen. Auf diese Art werden Familien zu Netto-Empfängern gerechnet, obwohl sie tatsächlich Netto-Zahler sind.
    Bei stichprobenartigen Untersuchungen weiterer Leistungen der Familienförderung ist der Familienbund auf zahlreiche weitere Beispiele für kreative Bilanzierungen gestoßen. Regelmäßig werden familiäre Leistungen für Staat und Gesellschaft ausgeblendet; die Leistungen an die Familien werden dagegen in voller Höhe verbucht.
    Auf diese Art wird der Leistungsträger Familie zum Sozialfall kleingerechnet. An den fragwürdigen Bilanzierungen sind die renommiertesten Wirtschaftsforschungsinstitute Deutschlands beteiligt –gegen Bezahlung aus der öffentlichen Hand.

    Familienbund wird Bilanzierungsregelungen aufstellen

    Der Familienbund der Katholiken in Bayern hat eine eigene Arbeitsgruppe eingesetzt, die Bilanzierungsregeln für die Familienpolitik erarbeiten wird. Die Methodik wird angelehnt an die internationale Norm ISO 14 040 zur Erstellung von Ökobilanzen. (Ende des Zitats)

    Der Familienbund spricht hier von „Versicherungsförderung durch Familien“.
    Falls die von den Familien stammenden 20 Milliarden nicht als Boni an die Bosse fließen, dann
    werden damit die „Nichtfamilien“ gefördert, das sind die Kinderlosen.
    Diese werden von diesem Staat also zu Schmarotzern an den Familien gemacht. Diesem Unfug wäre leicht abzuhelfen, wenn auch in der GKV wie in jeder anderen Versicherung Risikogruppen eingeführt würden. In der KFZ-Versicherung werden Kleinwagen doch auch nicht LKWs in einen Topf geworfen.
    In der GRV ist das staatlich erzwungene Schmarotzertum der Kinderlosen an den Familien noch viel krasser. Kinderlose Weiber hatten einst im Bundestag geprahlt „Ich habe abgetrieben“ mit der Begründung „Mein Bauch gehört mir!“. Doch ihre Altersrente lassen sie sich von den nicht im Mutterleib abgeschlachteten Kindern bezahlen, ohne sich zu schämen.
    Der vielgelobte Generationenvertrag ist nur die eine Hälfte des ursprünglichen „Schreiberplans“.
    Die unverzichtbare andere Hälfte, nämlich die Jugendrente, hatte Adenauer abgetan mit der für seinen Horizont kennzeichnenden Bemerkung „Kinder bekommen die Leute immer.“ Dabei lag dieser noch haushoch über dem des heutigen Politpacks.

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