Bodeneigentum – das beschwiegene soziale Grundübel

In Deutschland müssen die meisten Menschen zur Miete wohnen, und die Wohnungsnot wird immer größer. Denn es gibt nicht genug Wohnungen für alle. Bundesweit fehlen ca. 700.000. Doch das Bauen stockt, denn die Baukosten, die Grundsteuern sowie teure linksgrüne Auflagen wachsen. Dazu strömen unaufhörlich Massen von vielfach bevorzugten Migranten ins Land. Und so steigen die Mieten weiter und werden für immer mehr Menschen unbezahlbar, so dass sie mit weniger Wohnraum und primitiven Wohnverhältnissen vorlieb nehmen müssen oder gar in die Obdachlosigkeit absinken. Doch das allem zugrunde liegende soziale Übel des privaten Eigentums an Grund und Boden wird nicht thematisiert.

Um gleich einem Einwand vorzubeugen: Es geht hier nicht um kommunistische Ideologie, sondern um eine sachliche Analyse des Problems und notwendige Überlegungen, wie es gelöst werden könnte. Denn der Sachverhalt stellt sich für jedermann objektiv ganz eindeutig dar. Und er ist bitter ernst.

Stadtmission Nürnberg

Das grundlegende Problem

So wie jeder Mensch Luft zum Atmen braucht, so auch ein Stück Erde, auf dem er wohnen und sich nachts zum Schlafen hinlegen kann. Der Boden ist notwendige Lebens- und Arbeitsgrundlage aller Menschen. Wenn sich aber der gesamte Grund und Boden nur im Eigentum eines Teiles der Bevölkerung befindet, ist der andere Teil von diesem existenziell abhängig. Da das private Eigentumsrecht ein dauerhaftes alleiniges Verfügungsrecht über das Grundstück bedeutet, kann der Eigentümer die Bedingungen setzen, unter denen er anderen Zugang zu seinem Grundstück gewähren, sprich, es ganz oder teilweise zu einer bestimmten Nutzung verpachten oder darauf errichteten Wohnraum vermieten will.

Es kommt also von vorneherein kein Rechtsverhältnis unter Gleichen zustande, wie es rechtsstaatlich erforderlich ist, sondern der Eigentümer sitzt am längeren Hebel, er kann die existenzielle Not des Nichteigentümers, irgendwo sein Haupt hinlegen zu müssen, ausnutzen und weitgehend seine finanziellen Bedingungen diktieren. Er kann eine Miete fordern, durch die ihm nach Abzug der eigenen Aufwendungen ein dauerhaftes leistungsloses Einkommen zuwächst, das andere für ihn ständig erarbeiten müssen. Das Bodenmonopol versetzt wenige in die Lage, Zahlungen einzig aufgrund ihres Eigentumsrechtes zu erhalten und nicht dafür, dass sie eine Leistung erbringen. Sie können andere Menschen gleichsam wie Sklaven für sich arbeiten lassen.

Diese existenzielle Abhängigkeit ist das grundsätzlich Erniedrigende und Entwürdigende für die betroffenen Menschen. Dass der Miethöhe gewisse (aber in der Realität sehr weite) rechtliche Grenzen gesetzt sind, ändert nichts an der prinzipiellen Situation.

Man muss sich das in aller Deutlichkeit vor Augen halten: Die Bodeneigentümer haben das private Recht, andere vom Zugang zu einem für sie existenziell notwenigen Grundstück auszuschließen, durch Bedingungen zu erschweren oder auch unmöglich zu machen. Das Eigentum verbindet hier willkürlich Teile der Erde, die prinzipiell allen Menschen als Lebensgrundlage zur Verfügung stehen müssen, mit der persönlichen, privaten Verfügungsgewalt Einzelner. Der Boden ist gleichsam zum Raub eines Teiles der Bevölkerung geworden, der dadurch Macht über die Anderen ausüben und sie zum eigenen Vorteil ausbeuten kann.

Das Wort privat drückt die historische Realität auch aus. Es stammt vom lateinischen Verb „privare“ ab, das ursprünglich „rauben“ bedeutete. Ausgangspunkt für Besitz- und Eigentumsverhältnisse waren ja immer Eroberungen oder Inbesitznahmen von Völkerschaften, deren herrschende Fürsten sich des Bodens bemächtigten und ihren Getreuen davon in Form von Lehen, Pacht oder dauerndem Besitz abgaben. Aus der Macht wurden Rechte abgeleitet, Rechte auf Grund und Boden, die weitervererbt oder an diejenigen verkauft wurden, die den gesetzten Preis bezahlen konnten. Die so entstandenen sozialen Verhältnisse werden einfach nur unbewusst fortgesetzt, bis heute.

Zur gegenwärtigen Situation

Nach dem Statistischen Bundesamt sind gegenwärtig 42 % der Bevölkerung in Deutschland Eigentümer an Grund und Boden. 58 % sind also von 42 % existenziell abhängig. Das führt dazu, dass sie im Durchschnitt 27,8 % ihres Nettoeinkommens für die Miete aufbringen müssen. Das betrifft 19,9 Millionen Hauptmieterhaushalte. Mietbelastungsquote für die rund 6,6 Millionen
Ein Durchschnitt bildet natürlich nicht die wirkliche reale Lage ab. Denn er berührt Mieter mit höherem und hohem Einkommen wenig, für die der Mietanteil eines 2-Personen-Haushaltes z.B. mit einem Einkommen von über 4.000 € sogar auf 15,6 %  sinken kann. Existenziell bedrückend wird es für den Einkommens-schwachen Bevölkerungsteil, der je nach Haushaltsgröße und Einkommen bis zu 57,7 % für Miete aufbringen muss.
1,5 % aller Hauptmieterhaushalte = 595.290 mussten daher von den Kommunen mit insgesamt 1,4 Milliarden € Wohngeld unterstützt werden. 178.145 Personen, 46 % davon sind Haushalte mit Kindern, fanden keine Wohnung mehr und mussten von Kommunen untergebracht werden.

Der Merkur berichtete am 20.1.2023, dass sich die Wohnungsnot in Deutschland dramatisch verschlimmere.
Laut einer Studie fehlen bundesweit 700.000 Wohnungen – vor allem im mittleren und unteren Preissegment. Besonders in den Großstädten ist die Lage prekär: hohe Mieten und zu wenige Wohnungen einerseits, eine schier unersättliche Nachfrage andererseits. Ein explosives Gemisch. Wohnen ist die neue soziale Frage.“ (Hervorhebung hl)

Bereits vorher hatte der Merkur in Bezug auf eine wachsende Wohnungsnot Alarm geschlagen:
„Laut einer Studie der „Deutschen Bank“ steuert Deutschland auf eine nie da gewesene Wohnungsnot zu. Statt der versprochenen 400 000 neuen Wohnungen pro Jahr wird es in absehbarer Zeit nur gut die Hälfte sein. Zusätzlich wird die Zahl der hier lebenden Menschen bis 2030 laut der Studie auf voraussichtlich 86 Millionen ansteigen. Es wird eng in Deutschland. Und die Regierung hat erkennbar keinen Plan.“

Bei den 42 % der Bevölkerung, die Eigentümer an Grund und Boden sind, muss man allerdings berücksichtigen, dass die meisten davon ihre Immobilie selbst bewohnen. Nur ca. 10 %  vermieten, und deren Eigentum konzentriert sich insbesondere in den großen Wohnbaugesellschaften, deren Geschäft es ist, aus den Mieten, d.h. aus der Not der abhängigen Menschen, größtmöglichen Profit zu schlagen. Das bedeutet, dass sämtliche Miet- und Pachtzahlungen der 58 % Mieter auf die Konten von 10 % Grundeigentümern fließen.

Hinzu kommt, dass die Mieten von Unternehmen und Geschäften (z.B. Bäcker), die keine eigenen Räume haben, in deren Preise eingehen, so dass die 58 % Mieter und die 32 % restlichen Eigentümer, also 90 % der Bevölkerung auch deren Mietkosten indirekt zahlen müssen. Darauf hat der Ökonom Prof. Christian Kreiß 1 hingewiesen.
Aber die Grunderwerbs-, Bau- und Investitionskosten der Unternehmen und Geschäfte mit eigenem Grundeigentum gehen natürlich ebenso in die Preise ein, so dass auch diese langfristig von 90 % der Bevölkerung und damit überwiegend von den eigentumslosen Mietern aufgebracht werden müssen.
Ein gigantisches System der Ausbeutung und Vermögensumverteilung von unten nach oben.

Der Zauberstrich im kommunalen Bauamt

Besondere Auswüchse zeigt das Eigentum an Grund und Boden bei plötzlichen Wertsteigerungen. Grundstücke, die landwirtschaftlich genutzt werden, haben einen geringeren Wert als solche, die mit gewerblichen Gebäuden oder Wohnhäusern bebaut werden. Ein einziger Strich eines städtischen Bauamtes, der ein landwirtschaftliches Grundstück am Rande der Stadt in den Bebauungsplan einbezieht, lässt den Quadratmeterpreis dieses Grundstückes von vielleicht 10 € mit einem Sprung auf mögliche 200 € oder mehr emporschnellen. Bei einer Größe von 10.000 qm bedeutet dies eine Wertsteigerung von 100.000 € auf nunmehr 2.000.000 €. Das heißt, der Eigentümer, der es geerbt oder für 100.000 € gekauft hatte, macht beim Verkauf an Bauinteressenten einen Gewinn von mindestens 1.900.000 €, die ihn mit einem Schlage zum Millionär machen, nur weil er das Eigentumsrecht hat. An Leistung hat er nicht das Geringste erbracht; was ihm zufließt, müssen aber andere für ihn erarbeiten. Hier wird das tief Unsoziale und Ungerechte des Bodeneigentums noch einmal besonders deutlich.
Solche Preise können zudem nur Leute mit gutem Einkommen bezahlen, sie übersteigen die finanziellen Möglichkeiten der Mehrheit.

Notwendige soziale Konsequenzen

Die geschilderten Verhältnisse schreien für jeden, der nicht in Vorurteil und Egoismus gefangen ist, nach Veränderung. Verbesserungen des Mieterschutzes, Begrenzungen des Mietpreises, Enteignungen von Immobilienhaien oder staatliche Hilfen beim Eigentumserwerb bleiben an der Oberfläche; sie lindern begrenzt oder verschieben die Ungerechtigkeiten, beseitigen aber nicht die Wurzel des Problems, aus dem alle Ungerechtigkeiten erst aufsteigen: das private Eigentum an Grund und Boden.

Der Boden gehört einer ganz anderen Kategorie an als Sachen, die durch menschliche Tätigkeit immer wieder produziert werden können. Der Boden ist nicht von Menschen hervorgebracht und kann auch nicht beliebig vermehrt werden; er ist die notwendige Lebensgrundlage aller Menschen. Mit einem Grundstück wird keine Sache oder Ware verkauft, sondern das privilegierte Recht, über dieses Grundstück unter Ausschluss aller anderen Menschen zu verfügen.

Der reine Tausch von Waren bzw. deren monetäre Repräsentanz verläuft völlig unabhängig von den sonstigen Rechtsbeziehungen zwischen den Menschen. Ein Grundstück wirkt aber im sozialen Leben nicht wie eine Ware, sondern durch das Recht, das der Eigentümer auf seine ausschließliche Benutzung hat. Dieses Recht löst ganz anders geartete Beziehungen zwischen Menschen aus als das Verhältnis zu einer Ware, das sonstige Beziehungen zwischen Menschen nicht berührt. Sowie jedoch ein Recht (hier auf die alleinige Verfügung über ein Grundstück) gegen Waren bzw. Geld getauscht wird, greift dieses Recht über die Tauschenden hinaus auf Rechtsverhältnisse mit anderen Menschen über, die z.B. als Wohnende auf diesem Grundstück in ein Abhängigkeitsverhältnis kommen.2

Das geltende Eigentumsrecht betrifft zwei völlig unterschiedliche Lebensgebiete. Soweit es sich auf von Menschen hergestellte Sachen bezieht, erfüllt es eine hohe Funktion der existenziellen Sicherung und der Persönlichkeitsentwicklung. In Bezug auf Grund und Boden dient es aber nicht dem Wohle der Allgemeinheit, sondern nur dem Wohle eines Teiles auf Kosten aller Anderen.

Das haben die Väter des Grundgesetzes auch empfunden, indem sie das Eigentum in Art. 14 grundsätzlich unter Schutz stellen, aber in Art. 15 die Möglichkeit vorsehen, dass Grund und Boden „zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden“ können. Das ist bisher vom Bundestag, in dem stets überwiegend Eigentümer von Grund und Boden sitzen, überhaupt nicht aufgegriffen worden, geschweige denn, dass man sich dort und in den Parteien über das zugrunde liegende soziale Problem Gedanken machen würde.

Lösungsweg

Wenn Eigentum an Grundstücken auszuschließen ist, dann muss der gesamte Boden einer Kommune in deren Besitz und Verwaltung bleiben bzw. übergehen – natürlich nur der Boden selbst, nicht die darauf errichteten Gebäude. Denn diese sind ja von Menschen durch ihre Leistungen hervorgebracht worden und müssen in ihr Eigentum übergehen, können also auch verkauft und gekauft werden. Das bedeutet eine rechtliche Trennung vom Boden und den damit fest verbundenen Gebäuden, die bisher als eine rechtliche Einheit behandelt werden. Diese Trennung ist im Grunde nicht neu, sondern besteht bereits im Erbbaurecht. Sie ist also praktizierbar.

Der Boden selbst muss dem Verkauf und Kauf völlig entzogen werden. Die demokratisch legitimierten Organe der Kommune teilen den Boden den verschiedenen Nutzungen zu, für die Bedarf und Möglichkeit besteht: Wohnflächen, Landwirtschaft, Gewerbe, Industrie etc. Zentral muss sein, dass jeder Bürger der Kommune für sich und seine Familie das Anrecht hat, ein Grundstück auf eine längere Zeit zur Verfügung gestellt zu bekommen, auf dem er ein Haus- oder Wohneigentum erstellen oder erwerben  kann.

Dies und eine entsprechende Übergangsregelung wären im Einzelnen auszuarbeiten. Das wird natürlich bei vielen eingefahrenen Gewohnheiten nicht einfach, ist aber notwendig und möglich. Das bisherige Eigentumsrecht an Grund und Boden ist nicht vom Himmel gefallen, sondern menschengemacht. Es kann auch von Menschen geändert werden. Einwände, das sei nicht durchführbar und daher sei das Ganze utopisch irreal, sind üblich, wenn man sich interessengeleitet auf das eigentliche Problem nicht einlassen will.

Wenn die Notwendigkeit dieses grundsätzlichen Richtungswechsels der Bodenordnung eingesehen wird und das soziale Gewissen den Willen zur Veränderung ergreift, werden sich die Dinge aus den praktischen Erfordernissen bis in alle Einzelheiten auch regeln und alle auftretenden Schwierigkeiten überwinden lassen.

Gegen eine solche grundlegende rechtliche Änderung, dessen bin ich mir bewusst, würden sich mächtige Interessengruppen erheben. In der Reaktion darauf offenbart sich letztlich, ob die Abgeordneten des deutschen Bundestages wirklich demokratische Vertreter des ganzen Volkes und aufrechte Verfechter des Gesamtwohles sind oder weiterhin tiefgreifende soziale Verwerfungen mit Not, Leid und Entwürdigung für große Teile der Bevölkerung in Kauf nehmen – zugunsten privater Macht- und Profitinteressen.

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1   Christian Kreiß: Profitwahn, Marburg 2013, S. 16, 17)
2   Vgl. Rudolf Steiner: Die Kernpunkte der sozialen Frage, Dornach 1961, S. 71

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Nachbemerkung:
Das Thema, erweitert um die noch bevorstehende Erfindung des Eigentums an der Luft und der daraus folgenden Miete für die Atemluft in den gemieteten Räumen, ist von mir vor einigen Jahren auch in satirischer Form behandelt worden: