Die kriegerische Kraft, die aus pervertierter Religion aufsteigt

Eine der stärksten und fanatischsten kriegerischen Kräfte speist sich aus den Religionen, bzw. aus ihrer Pervertierung. Das Judentum, der Islam und auch die christliche Religion führen kein nur stilles kulturbildendes Dasein, wie es dem inneren Wesen der Religion entspricht, sondern wirken stark motivierend und antreibend in den staatlich-militärischen Komplex der Macht- und Gewaltausübung hinein. Was liegt dem zugrunde? Auch Georg Christoph Lichtenberg fragte sich im 18. Jahrhundert, wie sonderbar es sei, dass die Menschen so gern für ihre Religion fechten und so ungern nach ihren inneren Vorschriften leben. Aus aktuellen Gründen sei besonders dem kriegerischen Wirken des Judentums nachgegangen.

Der Triumpf des Hasses – Kultur, Kunst und Religion gefesselt.(alamy)

Wesen und Pervertierung der Religion

Religion als das Streben nach Wiederverbindung mit der geistig-göttlichen Welt hat die schmerzhafte Trennung von ihr zur Voraussetzung. Die Vertreibung aus ihr infolge des Sündenfalles, die in bildhafter Form Ausgangspunkt aller Religionen ist, bedeutete den Abstieg der Menschen aus der paradiesischen Reinheit in die irdische Welt der moralischen Abirrungen. Religion ist insofern der Weg, die moralischen Verschlechterungen des eigenen Wesens zu überwinden, zu läutern, um dadurch allmählich wieder in die göttliche Welt zurückkehren zu können. Das Entscheidende einer Religion ist daher nicht, was sie lehrt, sondern was sie durch die Übung dieser Religion im Menschen real an Wandlungen bewirkt. Die Lehre hat dazu eine bewusstseinsbildende und hinführende Aufgabe.

Das Wesen der Religion ist also der innere willentlich übende Weg der Läuterung und moralischen Vervollkommnung zu Gott. Dem stellen sich aber ständig die inneren Widerstände und Versuchungen des Bösen entgegen. Sie zu überwinden, fordert einen immerwährenden Kampf gegen den „eigenen inneren Schweinehund“, das niedere, egoistische Selbst des bequemen Alltagsmenschen. Und das ist der Punkt, an dem sich die Geister scheiden.

Wird diesem inneren Kampf nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet, wird ihm ausgewichen und gerät der „eigene innere Schweinehund“ aus dem Blick, so wendet sich der Blick nach außen und sieht hasserfüllt den „Schweinehund“ in den Ungläubigen, die dem „falschen Glauben“ anhängen und den einzig wahren Glauben verschmähen. Man sieht ihn in anderen Völkern und Staaten, welche die Menschheit bedrohten, aber im Grunde nur den eigenen Ansprüchen und Interessen im Wege stehen.

Wer das Böse statt im eigenen Innern mit Gewalt beim Anderen bekämpft, führt den Krieg verheerend am falschen Ort und vermehrt nur das Böse in sich selbst. Äußerer Kampf und Krieg sind das furchtbare Zeichen dafür, dass der notwendige Kampf im eigenen Inneren versäumt und auf ein falsches Schlachtfeld verlagert wird, wo sich die egoistischen Zerstörungskräfte, anstatt im eigenen Innern überwunden zu werden, ungehindert austoben und wechselseitig verstärken. Man folgt in Wahrheit nicht dem Gott seiner Religion, den man sucht, sondern dem Bösen in sich, das man in anderen zu bekämpfen vorgibt.

Religiös motivierte Gewalt

So beansprucht der Islam aus dem Gebot der Totalhingabe an den Willen Gottes die Einheit zwischen religiösem und staatlichem Leben. Und der „Dschidhad“, der „Anstrengung auf dem Wege Gottes“ bedeutet, also eigentlich Bemühen um die eigene moralische Läuterung, wird durch Unterstützung einiger Koranstellen nach außen gegen die Ungläubigen gewendet und gewinnt eine kriegerische Gewaltdynamik, die heute wieder große Ausmaße angenommen hat.

Auch das Christentum durchdringt in den USA z.B. die Politik zu einem religiös gefärbten Nationalismus, der die Bürger in eine von Gott geschützte und geführte Nation, eine „one nation under god“, vereinigt. Dieses Verhältnis zu Gott wird als das eines besonders auserwählten Volkes gedeutet, „das Israel unserer Zeit“, dem von Gott die besondere geschichtliche Mission zuerteilt sei, ein Modell für Freiheit, Gleichheit und Demokratie zu errichten, „nicht nur für Amerika allein, sondern für die ganze Menschheit“. Daraus steigt immer wieder der missionarisch-kämpferische Gedanke des Kreuzzuges für diese Ideale auf, mit dem das „selbstlose“ militärische Eingreifen in aller Welt vielfach motiviert wird.1

Aus aktuellen Gründen wenden wir uns hier nur dem Judentum zu. Wie im vorigen Artikel dargelegt, hat es im Grunde vor zweitausend Jahren mit dem Erscheinen des verheißenen Messias in Jesus Christus seine Erfüllung gefunden, auf die seine gesamte Entwicklung vorbereitend zugesteuert ist. Doch eine erstarrte Gesetzesdogmatik hat den großen Teil der Juden diese Tatsache nicht erkennen lassen. So ist bei den in alle Welt zerstreuten Juden die heutige jüdische Religion in der Verfassung von vor über zweitausend Jahren stehengeblieben, die noch immer auf den Messias wartet. Welche geschichtliche Tragik!

Das führte dazu, dass eine jüdisch-zionistische Bewegung in der Gegenwart Ansprüche auf das Land Palästina mit alten Zielen aus der im Alten Testament geschilderten Vergangenheit begründete, die mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun haben, und im Grunde furchtbare ideologische Wahngebilde sind. Zion, der Name für den Tempelberg in Jerusalem, war in der babylonischen Gefangenschaft (6. Jh. v. Chr.) zum Synonym für die Zukunftshoffnungen des damaligen Judentums geworden. Das war in der damaligen Realität begründet, da die Juden ihre göttliche Aufgabe, das Volk leiblich und seelisch auf den Empfang des verheißenen Messias hinzuführen, noch nicht erfüllt hatten.

Das christliche Adventslied „Tochter Zion“ weist auf die Erfüllung hin mit den Worten: „Tochter Zion, freue dich, jauchze laut, Jerusalem! Sieh, dein König kommt zu dir, ja, er kommt, der Friedefürst. Tochter Zion, freue dich, jauchze laut, Jerusalem!“

Doch jetzt, nach zweieinhalbtausend Jahren, als ein krampfhaft zusammengeführtes „Volk“ ohne eigentliche geistige Aufgabe wieder Anspruch auf Zion, den Tempelberg, Jerusalem und das übrige alte Land zu erheben und dort unter Vertreibung und Tötung Hunderttausender Einheimischer mit Gewalt  einen jüdischen Nationalstaat zu etablieren, ist ein furchtbarer religiöser Wahn.

An dessen Beginn stand also auch hier die Verbindung äußerer religiöser Ziele mit militärischer und staatlicher Gewalt. Die fanatische Realisierung dieser Wahnideen bedeutet, wie die Gegenwart zeigt, eine Menschen-verachtende Barbarisierung, die Unheil auf Unheil über andere Menschen erzeugt.
Erhalt und weitere staatliche Ausdehnung fordern immer wieder neu die Notwendigkeit militärischer Gewalt. Dies ist auch mit dem „Schutz der Juden vor Antisemitismus“ nicht zu rechtfertigen, der dadurch gerade ungeheuer verstärkt wird.

Wo bleibt bei der herrschenden Kaste des Staates Israel der demütige innere religiöse Weg zu Gott? Wo bleibt die Einhaltung der eigenen Zehn Gebote als die moralische Entwicklungsbedingung für ein gottgefälliges reines menschliches Wesen?: „Du sollst nicht töten.“ „Du sollst nicht stehlen.“ „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.“ „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus.“ Der innere Kampf gegen das Böse wird vermieden und in einen äußeren Kampf gegen das Böse in den Anderen gewendet – mit den Mitteln des Bösen.

Wie Amalek so Gaza

In einer hebräischen Rede am 28. Oktober 2023, in der der israelische Ministerpräsident Netanjahu die Bodeninvasion in Gaza ankündigte, berief er sich zur Rechtfertigung des damit verbundenen Massakers an Zivilisten auf Ereignisse in der Bibel:

„Ihr müsst euch daran erinnern, was Amalek euch angetan hat, sagt unsere Heilige Bibel. Und wir erinnern uns. Und wir kämpfen. Unsere tapferen Truppen und Kämpfer, die jetzt in Gaza und in allen anderen Teilen Israels sind, reihen sich ein in die Kette der jüdischen Helden, eine Kette, die vor 3.000 Jahren begann, von Josua ben Nun bis zu den Helden von 1948, dem Sechstagekrieg, dem Krieg im Oktober 73 und all den anderen Kriegen in diesem Land. Unsere Heldentruppen haben ein übergeordnetes Hauptziel: den mörderischen Feind vollständig zu besiegen und unsere Existenz in diesem Land zu sichern.“ 2

Wer war Amalek? Beim Auszug des Volkes Israel aus Ägypten hatte ihm das arabische Volk der Amalekiter den Weg verlegt, also das Weiterziehen ins verheißene Land Palästina versperrt. Nach 1. Samuelis, Kap. 15 des Alten Testamentes befahl der Priester Samuel dem israelitischen König Saul im Auftrag des Herren: „So ziehe nun hin und schlage die Amalekiter und verbanne sie mit allem, was sie haben. Schone ihrer nicht, sondern töte beide, Mann und Weib, Kinder und Säuglinge, Ochsen und Schafe, Kamele und Esel.“

Daraus zieht also Netanjahu das Recht, auch die heutigen arabischen Palästinenser, die den Zionisten das Land Palästina versperren, mit Weib und Kind zu vernichten. –
Es ist das wahnhafte starre Festhalten an Verhältnissen, wie sie vor dreitausend Jahren bestanden haben, als ob es keine Entwicklung in der Menschheit gebe.

Die Situation von damals lässt sich aus dem 2. Buch Mose, Kap. 17 genauer ersehen. Das Volk Israel litt in der Wüste großen Durst, murrte deshalb gegen Moses und zweifelte an der Richtigkeit, aus Ägypten weggezogen zu sein. Moses betete zum Herrn, der ihm die Weisung gab, mit seinem Stab an einen Felsen zu schlagen, aus dem Wasser für das Volk herausquellen werde.

„Da hieß man den Ort Massa (Versuchung) und Meriba (Hader), um des Zankes willen der Kinder Israel, und dass sie den Herrn versucht und gesagt hatten: Ist der Herr unter uns oder nicht?“ (Vers 7)
Darauf heißt es unmittelbar in Vers 8:
„Da kam Amalek und stritt wider Israel in Raphidim.“
Vers 13: „Und Josua dämpfte den Amalek und sein Volk durch des Schwertes Schärfe.“
Und Vers 13 setzt fort: „Und der Herr sprach zu Mose: Schreibe das zum Gedächtnis in ein Buch und befiehl es in die Ohren Josuas; denn ich will den Amalek unter dem Himmel austilgen, dass man seiner nicht mehr gedenke.“

Israel hatte seine vom Gotte Jahve eingeleitete Mission noch vor sich. Dazu gehörte die unbedingte Treue zu seinem Gott Jahve, der diese Entwicklung überwachte, Abweichungen ahnden und Feinde, die diese Entwicklung zu verhindern drohten, abwehren ließ.
Das Volk begann jedoch in der oben geschilderten Situation unter den äußeren Schwierigkeiten an seiner Mission und an seinem Gott zu zweifeln und wollte lieber wieder nach Ägypten zurück, aus dem es Moses zur Ausbildung seiner Fähigkeiten gerade herausgeführt hatte. In dieser Situation der inneren Schwäche heißt es: Da kam Amalek und stritt wider Israel.

Es ist, als ob die innere Schwäche, die Versuchung des inneren Feindes, gleichsam einen äußeren Feind herbeigeführt hätte, der die Verhinderung der Mission mit Gewalt vollziehen würde. Amalek wurde gleichsam zum Symbol für die drohende Zerstörung der großen Volks-Aufgabe, und dies musste vollständig vernichtet, ja aus dem Bewusstsein ausgetilgt werden.

Die Sprache der Bibel ist imaginativ, d.h. es werden primär seelisch-geistige Geschehnisse in physischen Bildern geschildert. Die Bilder sind also nicht unbedingt wörtlich als physisches Geschehen zu nehmen. Es ist daher noch die Frage, ob es wirklich um die völlige physische Vernichtung des Volkes der Amalekiter mit „Mann und Weib, Kindern und Säuglingen“ ging und nicht um die vollständige Ausrottung des inneren Feindes, für den Amalek nur das Symbol war.

Jedenfalls war auch der äußere Abwehrkampf Israels gegen Amalek, das seinen von Jahve vorgezeichneten Weg nach Palästina verhindern wollte, in der damaligen Zeit berechtigt. Die Erfüllung seiner Aufgabe lag ja noch vor ihm, und es musste vor seinen Feinden geschützt werden, damit die Erfüllung nicht verhindert wurde.

Das heutige künstlich aus verstreuten Juden zusammengefügte „Volk“ Israel, das noch in seinen bestimmenden Teilen am alten überlebten Glauben starr festhält, hat eine solche göttliche Aufgabe nicht. Eine Berufung auf Worte des damaligen israelischen Gottes Jahve ist ein Wahn. Von ihm besteht eigentlich nur noch der Name. Der Gott selbst hatte seine eigene Mission mit dem damaligen Volk Israel erfüllt. Es ist die Frage, welches Wesen sich heute hinter seinem Namen verbirgt und wozu es die Juden inspiriert, wenn sie ihn anbetend anrufen.

„An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“

Der Messias sagte nach dem Matthäus-Evangelium Kap 7, Vers 15,16: „Sehet euch vor den falschen Propheten vor, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“
Das gilt auch für die Frage nach der rechten Religion.

G. E. Lessing hat die Frage in seinem Drama „Nathan der Weise“ in tiefsinniger Weise behandelt. Er versetzt die Handlung in das Jerusalem des dritten Kreuzzuges, als Sultan Saladin die Macht über die Heilige Stadt innehat und gerade ein Waffenstillstand herrscht. Die drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam stehen sich hier mit ihrem jeweiligen Anspruch, die allein wahre Religion zu sein, gerade an dem Ort gegenüber, der für jede von ihnen religiös höchst bedeutsam ist. Lessing verkörpert seine Auffassungen in der Gestalt des weisen Juden Nathan, der Saladin auf dessen Frage nach der allein wahren Religion darauf verweist, dass die Religionen zwar äußerlich unterscheidbar, aber die auf Treu und Glauben in ihnen aufgewachsenen und lebenden Menschen gewöhnlich nicht imstande seien, die inneren Gründe der verschiedenen Religionen und deren Wahrheitsgehalt erkennen zu können.

Nathan bringt seine Ansicht und Lösung des Problems in das Bild einer Ring-Parabel: Ein Mann besaß einen wertvollen Ring, der die Eigenschaft hatte, seinen Träger „vor Gott und Menschen angenehm“ zu machen, wenn der Besitzer „in dieser Zuversicht ihn trug“. Der Ring wurde über Generationen vom Vater stets an jenen Sohn vererbt, den er am meisten liebte und der kraft des Ringes der Fürst des Hauses werden sollte. Doch einmal trat der Fall ein, dass ein Vater drei Söhne hatte, die ihm alle gleichermaßen lieb und teuer waren. Deshalb ließ er von einem Künstler zwei exakte Duplikate des Ringes herstellen und vermachte jedem seiner Söhne einen der Ringe als den echten. Die Söhne gerieten nach dem Tode des Vaters natürlich in Streit. Denn jeder beanspruchte, „der Fürst des Hauses“ zu sein. Schließlich zogen sie vor Gericht, um klären zu lassen, welcher Ring der echte sei.

Der Richter aber, außerstande dies zu ermitteln, erinnerte die drei Söhne daran, dass der echte Ring ja die Eigenschaft habe, den Träger „vor Gott und Menschen beliebt und angenehm zu machen“. Offenbar sei diese Wirkung aber bei keinem der drei eingetreten. Der echte Ring müsse daher schon dem Vater verloren gegangen sein. So gab der Richter den Rat: Im Glauben, dass sein Ring der echte sei, solle jeder der Brüder mit den anderen um die Wette eifern, „die Kraft des Steins in seinem Ring an Tag zu legen“, indem er dieser Kraft durch Streben nach „vorurteilsfreier Liebe, nach Sanftmut, herzlicher Verträglichkeit, Wohltun und innigster Ergebenheit in Gott“ zu Hilfe komme. „Und wenn sich dann der Steine Kräfte bei euren Kindes-Kindeskindern äußern: So lad ich über tausend tausend Jahre sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen als ich und sprechen.“

Gott steht als Vater am Anfang und als Richter am Ende der menschlichen Entwicklung, und entscheidend ist, was die Menschen unter der Hilfe der Religion aus sich gemacht haben. Nathan verweist also die Religionen auf ihr eigenes Wesen zurück: ein innerer Weg der moralischen Wandlung und Veredelung des Menschen zu sein, um der göttlichen Welt wieder nahe zu kommen. Nur darin könne sich ihre Fruchtbarkeit und Echtheit erweisen, nicht in äußerem Überzeugungsstreit und Kampf.

Im konkreten Leben stehen sich niemals das Christentum und der Islam oder das Judentum gegenüber. Immer sind es reale Menschen, die sich begegnen. „Sind Christ und Jude eher Christ und Jude als Mensch?“ fragt Nathan. Das Wichtige ist nicht, welche Religion sie in ihren Köpfen tragen, sondern was von dieser Religion in ihnen an reiner Menschlichkeit lebt und sich in ihren Handlungen offenbart und realisiert. Die Grundkraft der Schöpfung, die alles Leben durchdringt und trägt, ist die Liebe. Kein Mensch könnte am Leben sein, wenn ihn nicht die Liebe anderer Menschen wärmte und bildete. Es ist diese elementar zwischen Menschen webende Kraft, die in Gestalt der herzlichen Verträglichkeit, des Sanftmuts und des Wohltuns im Grunde jeder Mensch in der Begegnung mit anderen unbewusst erwartet und unbeachtet von allem Trennenden auch zu geben bereit ist. Und es ist Ausdruck höchster Menschlichkeit, wenn ein Mensch sie auch dann gibt, wenn er zuvor nur Hass und Vernichtung am eigenen Leibe erfahren hat.

In dem Drama gibt sich eines Tages ein christlicher Klosterbruder Nathan gegenüber als der Reiter zu erkennen, der ihm vor achtzehn Jahren ein durch die Kriegswirren verwaistes wenige Wochen altes Christenmädchen in seine Obhut gab. Nathan hatte es wie seine eigene Tochter aufgezogen, doch  -den argwöhnischen Christen in Jerusalem unbekannt – selbstlos nicht im jüdischen, sondern in christlichem Glauben unterrichten lassen. „Der frommen Einfalt“ des Klosterbruders vertraut er nun an, in welcher Lebenssituation er sich damals befunden hatte. Erst wenige Tage zuvor hatten die Christen in einem Pogrom seine „Frau mit sieben hoffnungsvollen Söhnen“ umgebracht.

„Als ihr kamt, hatt´ ich drei Tag´ und Nächt´ in Asch´ und Staub vor Gott gelegen und geweint. – Geweint? Dabei mit Gott auch wohl gerechtet, gezürnt, getobt, mich und die Welt verwünscht, der Christenheit den unversöhnlichsten Hass geschworen. – Doch nun kam die Vernunft allmählich wieder, sie sprach mit sanfter Stimm´: Und doch ist Gott! Doch war auch Gottes Ratschluss das! Wohlan! Komm übe, was du längst begriffen hast, was sicherlich zu üben schwerer nicht als zu begreifen ist, wenn du nur willst. Steh auf! – Ich stand und rief zu Gott: Ich will! Willst du nur, dass ich will! – Indem stiegt ihr vom Pferd und überreichtet mir das Kind. (…) Ich nahm das Kind, trug´s auf mein Lager, küsst´ es, warf mich auf die Knie und schluchzte: Gott! Auf sieben doch nun schon eines wieder!“

Tief ergriffen ruft der Klosterbruder aus:
„Nathan! Nathan! Ihr seid ein Christ! – Bei Gott, Ihr seid ein Christ! Ein bessrer Christ war nie!“
Und Nathan antwortet ihm:
„Wohl uns, denn was mich Euch zum Christen macht, das macht Euch mir zum Juden!“ –

Tiefe, von brüderlicher Liebe durchdrungene vollkommene Menschlichkeit ist das übende Ziel jeder wirklichen Religion. Darin kommt der Mensch dem Göttlichen nahe. Denn Gott ist die Liebe, und alle Liebe fließt aus Gott. Wenn der Messias der Sohn Gottes ist, wie es die Evangelien des Christentums verkünden, dann ist die Liebe Gottes sichtbar in Jesus vollkommener Mensch geworden, als Vorbild für alle Menschen, unabhängig davon, welcher Religion sie angehören. Dann erleben die Menschen jeder Religion in dem Maße wie sie reine, liebevolle Menschlichkeit entwickeln, die reale Kraft der Liebe und vollkommenen Menschlichkeit des Messias in ihrer Seele, wie immer sie ihn dann auch nennen mögen. –

An den Früchten, den Taten und dem Verhalten der einzelnen Vertreter der verschiedenen Religionen werden wir erkennen, was es mit ihnen auf sich hat, auch und gerade in Palästina, dem Land, in dem der Messias als Mensch über die Erde geschritten ist.

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1   Vgl. Klaus Stüwe: Politik und Religion in den USA, Stimmen der Zeit, 11/2008, S. 723-733
2   https://uncutnews.ch/das-evangelium-von-gaza-was-wir-aus-netanjahus-bibelstunde-lernen-muessen/