Wirtschaftswissenschaft im Dienste der Reichen und Mächtigen?

Die Wirtschaftswissenschaft hat die Aufgabe, umfassend die Zusammenhänge und Bedingungen wirtschaftlichen Handelns zu erforschen und Wege aufzuzeigen, wie das Wirtschaftsleben der Menschen zum Wohle aller immer besser, effizienter und gerechter entwickelt und organisiert werden kann. Der Wissenschaft obliegt daher eine große Verantwortung. Von ihrer Qualität und wissenschaftlichen Gewissenhaftigkeit hängt es ab, ob die materielle Versorgung aller Menschen als notwendige Grundlage für ihr kulturelles Leben gedeiht oder ob sie immer wieder in Not und Chaos versinkt.

Der Eindruck des letzteren drängt sich auf, wenn man die wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahrhunderte überblickt. Inflation, Deflation, Währungszusammenbrüche, Wirtschaftskrisen, gefolgt von Not und Verelendung großer Menschenmassen wechseln sich bis heute ab.  Welche Rolle spielt dabei die Wirtschaftswissenschaft, die doch eigentlich all dies verhindern sollte? Denn es handelt sich um keine Katastrophen, die durch Naturgewalten über die Menschen kommen, sondern stets um Ereignisse, die durch menschliches Handeln herbeigeführt werden, durch Handeln, das vielfach den „Erkenntnissen“, Ratschlägen und Prognosen eben der herrschenden Wirtschaftswissenschaft folgt. Auffallend ist, wie oft die führenden Ökonomen mit ihren Analysen und Prognosen der wirtschaftlichen Entwicklung danebenliegen.

Fehlprognosen

Nachfolgend werden die von den Wissenschaftlern des Internationalen Währungsfonds (IWF) im April 2007 für das Jahr 2008 vorausgesagten Wachstumsraten des Bruttoinlandprodukts (BIP) folgender Wirtschaftsgebiete den tatsächlich eigetretenen Zahlen gegenübergestellt:

USA 2,8 %, tatsächlich 0,4 %; Euroraum 2,3 %, tatsächlich 0,7 %; Deutschland 1,9 %, tatsächlich 1,2 %; Japan 1,9 %, tatsächlich 0,7 %; Großbritannien 2,7 %, tatsächlich 0,7 %.

Im April 2008 wurden für 2009 prognostiziert:

USA 0,6 %, tatsächlich wurden es -2,6 %; Euroraum 1,2 %, tatsächlich -4,1 %; Deutschland 1,0 %, tatsächlich -4,7 %;  Japan 1,5 %, tatsächlich -5,2 %; Großbritannien 1,6 %, tatsächlich -4,9 %. (Nachweis in: Christian Kreiß: Profitwahn, Marburg 2013, S. 105 f.)

Die Prognosen des IWF waren also jeweils fundamental falsch, diejenigen auf anderen Gebieten wie der Arbeitslosigkeit ebenfalls, wie Kreiß anmerkt und dann resümiert: „Die Mainstream-Ökonomen, die für den IWF in Washington arbeiten, waren im April 2007 und im April 2008 offenbar vollkommen ahnungslos, in welchem Zustand sich große Teile der Weltökonomie befanden. Der IWF beschäftigt führende Ökonomen der Welt. Als wie wissenschaftlich fundiert kann man solche Fehlprognosen ansehen? Wie ernst kann man Prognosen des IWF in Zukunft nehmen? Warum können ausgezeichnet ausgebildete Ökonomen so irren? Mit welchem Recht behaupten sie heute, künftige Trends richtig vorhersagen zu können?“ (a.a.O., S. 106)

Auch die Voraussagen des Sachverständigenrates zur Begutachtung der deutschen Wirtschaft (der „Fünf Weisen“) vom 12.11.2008 für das Jahr 2009 lagen meilenweit neben der Realität. Die „Weisen“ prognostizierten in Deutschland für

Exportwachstum +0,4 %, tatsächlich sank der Export um -14,7 %; Ausrüstungsinvestitionen -6,3 %, tatsächlich sanken sie um -20,9 %; Wirtschaftswachstum 0,0 %, tatsächlich -5,0 %.

Sie sagten ein Wirtschaftswachstum voraus für

USA von +0,1 %, tatsächlich – 2,5 %; Euroraum +0,1 %, tatsächlich -3,9 %; Großbritannien -0,1 %, tatsächlich -4,6 %; Japan -0,5 %, tatsächlich -5,6 %.

Christian Kreiß schreibt dazu: „Ein Blick in die Tabelle zeigt, dass der Sachverständigenrat sich in einem Ausmaß geirrt hat, das man bei Wissenschaftlern lange Zeit für unmöglich gehalten hätte. Die Prognosen waren so grundlegend falsch, dass man wohl eher von einem Un-Sachverständigenrat sprechen müsste. Von Sachverstand zeugen solche Fehlprognosen nicht, eher von beinahe unglaublicher Ahnungslosigkeit, was in der Wirklichkeit tatsächlich vor sich geht. (a.a.O. S. 108)

Ein Spanien-Spezialist der Deutschen Bank Research prophezeite 2007 in einer „vorzüglich recherchierten“ Studie mit dem Titel „Spanien 2020: Die Erfolgsgeschichte geht weiter“  für 2008 und 2009 satte Wachstumsraten und nachhaltige Erfolge. Sämtliche Prognosen für die künftige Entwicklung Spaniens waren fundamental falsch (S. 109). „Im Grunde genommen,“ so Kreiß weiter, „hat fast die gesamte Mainstream-Ökonomie, die auf rational-logischem, mathematisch-technischem, modellgetriebenem Denken aufbaut und meist der neoklassischen Marktideologie verhaftete ist, bei der Analyse und Vorhersage der derzeitigen Finanzkrise komplett versagt“ ( S. 110).

Trotz aller Fehlanalysen haben aber Selbstverständnis und Selbstbewusstsein der Mainstream-Ökonomen offensichtlich nicht gelitten. Sie gehen ohne Selbstzweifel weiter davon aus, dass ihre Analysen und Prognosen richtig sind. – Kreiß weist darauf hin, dass auch während der Weltwirtschaftskrise 1929 praktisch alle Mainstream-Ökonomen in der Einschätzung der ökonomischen Lage komplett falsch lagen. Und ebenso wie heute wurden die Ökonomen dafür nicht zur Verantwortung gezogen. Keinem Lehrstuhlinhaber oder keinem der „Fünf Weisen“ wurde etwa ein Rücktritt oder eine Umschulung nahegelegt.

Ursachen des Versagens

Der alternative Geldtheoretiker Helmut Creutz klagt: „Was ist das überhaupt für eine Wissenschaft, in der man – abgesehen von wenigen Ausnahmen – die entscheidenden Ursachen unserer wesentlichen Miseren und Zwänge nicht wahrnimmt und uns damit ohne gangbare Auswege in die Zukunft entlässt?“ (in: Humane Wirtschaft Sept./Okt. 2010, S. 2-7)

Wie ist die konventionelle ökonomische Wissenschaft beschaffen, und worin liegen die Ursachen für ihr fundamentales Versagen? Dazu muss man sich zunächst klarmachen, dass unter den vielen tatsächlichen oder möglichen wirtschaftswissenschaftlichen Ansätzen und Richtungen heute, wie Kreiß oben schon bemerkt, eine einzige Grundrichtung weltweit herrschend ist: die aus dem angelsächsischen Raum stammende neoklassische Theorie des totalen Marktes. Sie beruht im Wesentlichen auf einigen wenigen „Axiomen“, also Grundsätzen, die nicht weiter hinterfragt, sondern einfach als richtig vorausgesetzt werden. Die wichtigsten sind:  1. Unbegrenztes Eigentum an Grund und Boden, Unternehmen und Geld. 2. Die aus diesen Eigentumsarten resultierenden leistungslosen Einkommen.

Der Begriff des Axioms stammt aus dem reinen Denken der Philosophie und Geometrie und bezeichnet ein ursprüngliches, nicht abgeleitetes unmittelbar einleuchtendes Prinzip, das keines Beweises bedarf, einem solchen auch nicht zugänglich ist. Das Axiom  wird nun in der Ökonomie rein formal als ein unabgeleiteter, nicht weiter zu beweisender Grundsatz missbraucht, der keinen Anspruch unmittelbarer Evidenz enthält, durch den Klang des Namens Axiom einen solchen aber unterschwellig suggeriert. Solche „Axiome“ haben natürlich mit Wissenschaft nichts zu tun, sondern sind ideologische Dogmen, Glaubenssätze, die den Studenten als unverrückbare Wahrheiten mit Hilfe des Prüfungssystems  einfiltriert werden. Ihr Denken und Empfinden identifiziert sich mit ihnen, sie gehen in Fleisch und Blut über. Praktisch alle Ökonomiemodelle basieren auf diesen „Axiomen“.

Der allgemeine Begriff des Eigentums, der sich heute auf die unterschiedlichsten Dinge bezieht, verdeckt, dass mit ihm auch völlig unterschiedliche soziale Auswirkungen verbunden sind. Das private Eigentum an Gebrauchs- und Verbrauchsgütern sichert notwendig die physische Existenz des Menschen als Grundlage seiner Persönlichkeitsentwicklung und ist daher natürlich vollberechtigt. Mit dem Boden wird dem Einzelnen aber etwas zu eigen, was ihm nicht gehören kann. Das Eigentum verbindet hier Teile der Erde mit der Persönlichkeit eines Einzelnen, indem es andere davon ausschließt, die den Boden ebenfalls als Lebensgrundlage benötigen. Das führt vor allem bei dichter Besiedelung zur Konzentration des Bodeneigentums auf wenige, von denen die Anderen abhängig und durch Bodenrenten, also leistungsloses Einkommen, ausnutzbar werden. (Vgl. vorstehend Soziale Auswirkungen des Eigentums an Grund und Boden) Ein Unternehmen ist ebenfalls kein privates Gebrauchsgut. Die Verfügung darüber kann einschneidende Auswirkungen auf das Leben vieler Menschen haben, so dass das Eigentum hier eine Sozialbindung braucht, die auch den alleinigen Anspruch des Eigentümers auf den von allen Mitarbeitern erarbeiteten Gewinn, also ein weiteres leistungsloses Einkommen ausschließt. (Vgl. Arbeitsmarkt – der Mensch als Ware und Die sozial zerstörerische Wirkung des Aktienrechts). Das Eigentum am Geld, gegen das prinzipiell natürlich nichts zu sagen ist, bietet mit dem Zinseszins die verbreitetste Form leistungslosen Einkommens, und ermöglicht durch seinen Exponentialeffekt vor allem großen Geldvermögen bei langfristiger Anlage eine ungeheure fortlaufende Vermehrung ihres Vermögens. (Vgl. Ausbeutung durch das Zinssystem)

Alle drei Formen leistungslosen Einkommens, die jeweils andere Menschen erarbeiten müssen, bewirken einen unaufhörlichen Geldfluss zu den eh schon Vermögenden, eine permanente Vermögensverteilung von Fleißig nach Reich. Die unbegrenzte Vermögensakkumulation bei wenigen führt nicht nur zu Besitz- sondern auch zu gesellschaftlicher Machtkonzentration, schreienden sozialen Ungerechtigkeiten und wachsenden Spannungen, die in der Geschichte immer wieder gesellschaftlichen Verfall zur Folge hatten. Hinzu kommt, „dass die von der Masse der deutschen Bevölkerung getragenen Lohn-, Umsatz- und Verbrauchssteuern 80 % des gesamten Steueraufkommens ausmachen, während die Unternehmens- und Gewinnsteuern lediglich auf 12 % kommen.“ Dabei liegt die Kapitalertragssteuer bei 25 %, das Arbeitseinkommen wird aber mit 45 % besteuert. (Gerd Weidenhausen: „Der neue Kapitalismus als Re-Feudalisierungsprojekt“ in „Gegenwart“ Nr. 3/2013, S. 49)

Dass in der gängigen Mainstream-Ökonomie das unbeschränkte Eigentum an Grund und Boden, an Unternehmens- und Geldvermögen, sowie die damit verbundenen leistungslosen Einkommen nicht als Problem gesehen, sondern „als sakrosanktes Ergebnis des Wettbewerbs auf Märkten, die sich angeblich am besten selbst regulieren“ verteidigt werden (Gerhard Scherhorn im Geleitwort zu Dirk Löhr „Prinzip Rentenökonomie“, Marburg 2013), bedeutet, wichtige wirtschaftliche und soziale Abläufe nicht erkennen und nicht erklären zu können, „warum es zu stets wieder auftretenden wirtschaftlichen Zusammenbrüchen kommt“ (Christian Kreiß a.a.O., S. 116).

Man übergeht zum Beispiel die Fragestellung, wohin die Zinseszinsrechnung über 100 Jahre hinaus führen muss und hört vorher auf weiterzudenken. Kreiß bringt dazu ein Beispiel aus dem Standardlehrbuch „Grundlagen der Finanzwirtschaft“ der in Stanford lehrenden Professoren Jonathan Berk und Peter DeMarzo. Nachdem sie graphisch anschaulich die Wirkungsweise des Zinseszinses dargestellt haben, hört ihre zeitliche Berechnung einer 1000 Dollar-Geldanlage zu 10 % Zins nach 20 Jahren auf, da wo die Exponentialkurve noch wenig angestiegen ist. „Eine Verlängerung des Schaubildes auf 100 oder mehr Jahre würde die Unmöglichkeit des Gedankens zeigen“. Während aus den 1000 Dollar nach 20 Jahren immerhin schon  6.700 Dollar werden, würden es nach 100 Jahren 13,78 Mio., nach 200 Jahren 289 Mrd. und nach 300 Jahren 2.617.010 Mrd. Dollar sein.  (Kreiß a.a.O., S. 122 u. Anm. 266).

Abhängigkeit

Eine scheinbare Nebensächlichkeit führt zu tieferen Zusammenhängen. Jonathan Berk ist A.P. Giannini-Professor für Finanzwirtschaft, und Peter DeMarzo ist Mizuho Financial Group-Professor für Finanzwirtschaft in Stanford. Beide haben also Lehrstühle inne, die von Finanzunternehmen gestiftet sind. „A.P.Giannini war einer der einflussreichsten Bankiers der USA und Begründer der Bank of America, einer der größten US-Banken. Die Mizuho Financial Group ist eines der größten kommerziellen Finanzunternehmen der Welt. Wie wahrscheinlich ist es nun, dass Inhaber von Lehrstühlen mit diesen Namen das Geschäftsmodell von Bank of America oder Mizuho grundsätzlich in Frage stellen? Wie wahrscheinlich wäre es, wenn an einer deutschen Universität der Inhaber eines ´Aldi-Lehrstuhls für BWL‘  die Geschäftsstrategie von Aldi in Frage stellt? Wie unabhängig ist eine solche Wissenschaft?“ (Kreiß a.a.O., S. 122) Von der Wirtschaft finanzierte Stiftungslehrstühle sind in den USA außerordentlich verbreitet. Demgegenüber befindet sich Deutschland noch am Anfang.

Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) berichtete online am 10.1.2014, dass in Deutschland bundesweit 660 Stiftungslehrstühle (überwiegend in den Wirtschaftswissenschaften) „von Geldgebern mit eigenen Interessen finanziert“ werden. Darüber hinaus wird eine Fülle von einzelnen Forschungsprojekten von der Industrie finanziert, worüber sich die Hochschulen, auch im Interesse der Geldgeber aber gerne ausschweigen. 1,8 Milliarden Euro haben Unternehmen und Stiftungen allein im Jahr 2011 in deutsche Hochschulen investiert. Die Wirtschaft ist jetzt drin im Wissenschaftsbetrieb. Sie hat an den Universitäten einen Teil der Budgetmacht übernommen. Und wer über das Budget bestimmt, der redet auch bei den Inhalten mit“, schrieb ZEIT-online am 1.8.2013 unter dem Titel „Die gekaufte Wissenschaft“. Darin ist sogar von mehr als 1000 Stiftungslehrstühlen in Deutschland die Rede.

Auf die Spuren der Drahtzieher führt in der Regel die Frage: Cui bono? Wem nützen die oben beschriebenen „Axiome“, die interessengeleitete Dogmen sind? „Ganz offensichtlich profitiert vom gegenwärtigen System eine kleine Minderheit von sehr reichen und einflussreichen Menschen. ´Die Wirtschaftswissenschaft hat seit Jahrhunderten die Interessen der jeweils herrschenden Klasse verteidigt`, sagt der Ökonom und Unternehmensberater Wolfgang Berger.“ Und auch der Ökonomie-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz beantwortet die Frage, wem die gängigen ökonomischen Theorien nützen, lapidar mit: „Of the 1 %, for the 1 %, by the 1 %.“

Das System schottet auch seine Herrschaft ab. Um Professor der Volkswirtschaftslehre in den USA, Europa und Teilen Asiens zu werden, erreicht man die dazu nötige Habilitation nur, wenn man in der Regel mehrere wissenschaftliche Aufsätze in führenden englischsprachigen Ökonomie-Zeitschriften der neoklassischen Schule veröffentlichen konnte, deren Richtung also alle auf den beschriebenen unhinterfragbaren dogmatischen „Axiomen“ beruhen. Das bedeutet, dass ohne deren Anerkennung eine Wissenschaftskarriere unmöglich ist. Mit diesen Glaubenssätzen beginnt das Studium im ersten Semester an den Universitäten und Hochschulen, und auf ihnen beruht das ganze Bachelorstudium, das Masterstudium, die Promotion und am Ende die Habilitation (Kreiß a.a.O., S. 112).

Eine weitere Methode der Abschirmung ist die des „Zitierkartells“. Mit der eigenen Richtung unvereinbare Lehren kommen in der Diskussion nur am Rande vor, meist werden sie ignoriert. Man zitiert nur Forschungsergebnisse, die aus der eigenen Schule kommen.  Andere werden bestenfalls zu Karikaturen  verunstaltet, auf die man dann mit Freuden einschlagen kann.

In der früheren DDR konnte nur derjenige ein Hochschulstudium absolvieren und Ökonomie-Professor werden, der die ökonomischen Lehren von Marx und Engels gründlich kannte und von ihren Wahrheiten überzeugt war. Es waren rein „weltanschauliche“ Berufungen, die auf den ideologischen Dogmen von Marx und Engels beruhten. – Die allermeisten heutigen westlichen Berufungen von Ökonomie-Professoren unterscheiden sich im Prinzip nicht davon. „Auch hier liegen den Berufungen weltanschauliche Dogmen zugrunde, nämlich die Axiome oder Grundannahmen von der Unbeschränktheit von Eigentum, Zinseszins, dass der Egoismus aller Einzelnen auf geheimnisvolle Weise durch eine unsichtbare Hand zum Wohle aller verkehrt werde u. a.“ Nur dass heute subtiler vorgegangen wird (Kreiß a.a.O., S. 120).

Immerhin gibt es ein Hoffnungszeichen. Die Studierenden der Wirtschaftswissenschaften der Universität Zürich fordern in einem offenen Brief an die Wirtschaftsfakultät u.a.: „Die Aufhebung des Quasi-Lehrmonopols neoklassischer Modelle.“ (Gegenwart 4/2913, S. 51)

(hl)

6 Kommentare zu „Wirtschaftswissenschaft im Dienste der Reichen und Mächtigen?“

  1. Die Unsinnigkeit der ökonomischen Denkmodelle der BWL lassen sich an einem ganz einfachen Beispiel vor Augen führen: der Markt wird als transparent angenommen, die Produzenten und Händler als im freien Wettbewerb stehend, und der Konsument als informiert und völlig rational entscheidend – das sind die Grundannahmen der Marktwirtschaft.

    Wie wenig transparent heutzutage „die Märkte“ sind, wird daran deutlich, daß es keinerlei Übersichten mehr gibt, wie die Unternehmen miteinander vernetzt sind. Nach Studien sollen sämtliche großen Unternehmen der Welt über vielfältige Querverbindungen und Vernetzungen nur noch 400 Familien gehören.
    Wie wenig Wettbewerb stattfindet, zeigt exemplarisch die Aufteilung der BRD unter die 4 großen Energieriesen, die territorial erfolgt ist und die gemeinsam eine völlig marktbeherrschende Stellung haben (Oligopol). Auch die sogenannten „neuen Strom-Anbieter“ sind über Banken und andere Beteiligungen ALLE den großen Vier gehörig oder zumindest hörig.
    Wie wenig informiert der Verbraucher ist und wie wenig rational er entscheidet, kann sich auch jeder verdeutlichen. Werbung ist Desinformation, welche die Vorteile eines Produktes überbetont und die Nachteile verschweigt – und das systematisch. Außerdem ist sie bei allen Produkten stets emotional ausgerichtet und versucht, an der rationalen Entscheidung des Kunden vorbei Einfluss zu nehmen.

    Wie man sieht, sind sämtliche Grundannahmen für die Marktwirtschaft, auf denen sich die weiteren Denk- und Rechen-Modelle alle aufbauen, so weit weg vom realen Leben, daß die totale Fehlinterpretation der wirtschaftlichen Realität durch die Wirtschafts“wissenschaft“ kaum noch verwundern kann. Änderung nicht in Sicht…

    Da darf man sich doch fragen, ob solche sonderbaren Zustände, die eigentlich bei ein wenig Nachdenken sofort ins Auge fallen, so „rein zufällig“ sind.

  2. Es betriftt leider nicht nur die Wirtschaftswissenschaft, es betrifft alle Bereiche der Wissenschaft. Kapitalismus oder Mammonismus interessiert nur den Profit und sonst nichts. Besonders deutlich kommt dieser Tatbestand in der Medizin hervor. Nicht die Gesundheit steht im Fokus sondern die Krankheit, denn nur mit dieser kann man Geld verdienen. Heilung, und dies noch mit sanften Methoden z.B. Ernährung oder organisches Germanium wird und muss von der Pharmamafia mit allen Mitteln bekämpft werden, wenn man aus deren Sichtweise argumentieren würde.
    So ist der Studiengang Medizin eigentlich eine Witznummer, denn man lernt nur ,O-Ton einer Ärztin, „Hämmer zu verschreiben“. Zumindest war die Dame ehrlich.
    In anderen Fachbereichen sieht es nicht besser aus.

  3. Hallo!
    Wir haben uns längere Zeit nicht ausgetauscht, jetzt gibt es wieder eine Gelegenheit.
    Dieser neue Artikel ist interessant und ich würdige Ihre Arbeit!
    Teil 1. sehe ich auch so: Mit den Ökonomen ist es ähnlich wie mit der Klimaforschung. Es sind „brotlose Künste“ und die Gelehrten dieser Wissenschaften machen sich meist vom Wohlwollen des Staates abhängig. Also liefern sie die erwarteten Resultate.

    Ab „Ursachen des Versagens“ kommen wieder alte Bedenken:
    Sie präsentieren Teilansichten der Ökonomie, des PE und des Kapitalismus, knüpfen Ihre Verbindungen und es entsteht ein Argument aus Wahrheiten, Vermischungen, Löchern und Ungelehrtem, das sich Ihrer Ablehnung des PE und Kapitalismus anpassen soll. Darin sehe ich elementare Fehler, z. B. –

    1.] „…die aus dem angelsächsischen Raum stammende neoklassische Theorie des totalen Marktes. Sie beruht … auf … wenigen „Axiomen“… Die wichtigsten sind: 1. Unbegrenztes Eigentum an Grund und Boden, Unternehmen und Geld. 2. Die aus diesen Eigentumsarten resultierenden leistungslosen Einkommen.“
    Dies ist so unrichtig. a) Die Klassiker diskutierten sehr wohl die Moral des Grundbesitzes. Bentham ist ein Beispiel gegen das PE als Axiom. b) Sie entwickelten sich aus dem Absolutismus, nach dem man lernte das PE zu respektieren. c) Die Mechanik des Geldes, der Arbeit und des Lohnes spielten ein weitaus größere Rolle und nicht alles und bei jedem war die Grundrente der Ausgangspunkt (vergleiche Say/La Salle und Mill/Bentham/Malthus, usw.) d) Die „Quelle des Reichtums“ kam schon vor den Klassikern bei den Physiokraten aus dem Grundbesitz (siehe Quesnay). Diese hatten auf England keinen nennenswerten Einfluss.

    2.] PE wurde auch von Rousseau oder Proudhon nur mit einer moralphilosophischen Hypothek belastet. Proudhons „Eigentum ist Diebstahl“ ist nur weit-zitierter Teil des ganzen Satzes: „… aber nur, wenn und soweit es aus dem Fleiß und Arbeit anderer Vorteile ziehe“, also kein Axiom. (Marx lehnte PE auch nicht grundsätzlich ab.) Im Libertarismus hingegen IST PE ein Axiom, was auch philosophische-rational begründet wird und Axiome erst einen philosophischen Aufbau ermöglichen. Mir stehen die rein praktischen Gründe für Grundbesitz näher. Die Debatte über PE als „Axiom“ sehe ich also in diesem Sinne redundant – es gibt empirisch keine dauerhafte, rechtsstaatliche, wohlhabende Industrie-Gesellschaft ohne Anerkennung von PE, also eher als Kausalität.

    3.] Die tiefsten Widersprüche entstehen aus Ihrer Sicht des Grundbesitzes, „leistungslosen Einkommens“ und des Zinses. Einige Beispiele:
    (A) „…Das Eigentum verbindet hier Teile der Erde mit der Persönlichkeit eines Einzelnen, indem es andere davon ausschließt, die den Boden ebenfalls als Lebensgrundlage benötigen…“ Dieser Satz enthält eine Unzahl von philosophischen Fehlschlüssen. a) Das könnte man ja auch von der Luft sagen die wir atmen. b) Wir kommen aus der Erde und werden zu Erde, also JA! c) Als Verkäufer von Boden unterliegt der Grundeigentümer ebenso dem Marktgesetz wie der Käufer und Eigentümer stehen im gegenseitigen Wettbewerb. (Es wird also zur Frage einer Änderung des Erbrechts, was dann neue Probleme zur Folge hat – obwohl da ja auch schon besteuert wird.
    (B) „…Bodenrenten, also leistungsloses Einkommen, ausnutzbar werden…“
    a) Wer Immobilien besitzt weiß, dass die Unterhaltung und Nutzung (Mehrwert!) „Leistung“ erfordern (wenn er den Wert erhalten oder erhöhen will). b) Z.B. durch Grundsteuern ist die Gesellschaft schon am PE beteiligt (Ihre „soziale Bindung“!)
    (C) „…Das Eigentum am Geld, gegen das prinzipiell natürlich nichts zu sagen ist…“
    Hier merken Sie selbst, wie dem Syllogismus die Luft ausgeht. Was den Zins angeht: Kapital im volkswirtschaftlichen Sinne kann nur durch Konsumverzicht und Investitionen entstehen. Der Zins als Preis für das Kapital lässt sich demnach nicht abschaffen.

    In meiner Argumentation nehme ich an, dass Sie kein Antikapitalist oder Sozialist per se sind, sondern sich um einer gerechtere Gesellschaft Gedanken machen – wie viele von uns – ohne Ideologische „Axiome“ 🙂
    Dennoch – eine gute und ehrliche Diskussion.
    Nette Grüße

  4. Mir scheint nicht ganz richtig zu sein, was im Beitrag über die Axiomatik der Neoklassik zu lesen ist. Der Neoklassik liegt der axiomatische homo oeconomicus zugrunde. Ein Wirtschaftssubjekt wird demnach mehr von einem Gut immer weniger von einem Gut vorziehen, das Axiom der Nicht-Sättigung, weil man Überschüsse an andere veräußern könnte. (Die Welt ist nämlich ein großes Auktionshaus in den Augen der herrschenden Wirtschaftswissenschaft.) Der Nutzenzuwachs aus dem Kauf eines Gutes, von dem man schon etwas hat, fällt immer geringer aus, was man das Axiom des abnehmenden Grenznutzens nennt. Somit haben sich die Wirtschaftwissenschaften ihren eigenen Begriff von Axiom zurechgeschmiedet, die man in anderen Wissenschaften wohl eher Hypothesen nennen würde. Es lässt sich daraus aber ein überaus abstraktes mathematisches Totalmodell der Wirtschaft zusammenbauen, wenn man die ziemlich analog modellierte Unternehmensseite noch dazu nimmt, das unter dem Titel allgemeine Gleichgewichtstheorie bekannt ist.

  5. Die am Ende des Artikels erwähnte Forderung der Züricher Studenten nach einer „Aufhebung des Quasi-Lehrmonopols neoklassischer Modelle“ hat sich inzwischen in einen wunderbaren „Internationalen studentischer Aufruf für eine Plurale Ökonomik“ ausgeweitet. Siehe:
    http://www.isipe.net/home-de

Kommentare sind geschlossen.