Dreigliederung der Gesellschaft – oder Totalitarismus

Die heutige Gesellschaft wird in ihrer Gesamtheit vom Staat eingefasst und geformt, wie er sich historisch entwickelt hat. Staat bedeutet aber immer die Herrschaft Weniger, welche die Macht haben, das gesamte gesellschaftliche Leben nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Gegenwärtig geht von den Machtzentren des Staates wieder eine ungeheuer ansteigende Welle des Menschen-verachtenden Totalitarismus aus, der sich gegen das eigene Volk richtet und es mit Kriegshetze erneut dem Abgrund zutreibt. Das ist letztlich nur zu verhindern, wenn nicht nur diese Kräfte abgewählt, sondern das geistig-kulturelle sowie das wirtschaftliche Leben aus dem Machtzugriff des Staates befreit und der Selbstverwaltung der freien Bürger übergeben werden.

Alte gesellschaftliche Herrschafts-Formen haben sich traditionell fortgeschleppt und werden modifiziert, aber nie wird grundsätzlich hinterfragt, ob denn die autoritative Regelungsmacht des Staates dem Bild des freien, selbstbestimmten Menschen überhaupt noch gerecht wird, auf dem das Grundgesetz mit seinen vorstaatlich geltenden Grundrechten verheißungsvoll aufbaut. Dem Menschen wird eine alte, überlebte autoritative Form von außen übergestülpt, die nicht seiner Entwicklung dient, sondern sie unterdrückt.1

Eine ganz andere Blickrichtung ergibt sich, wenn man sich klarmacht, dass eine Gemeinschaft von Menschen nicht von vorneherein da ist, sondern erst aus den Beziehungen entsteht, welche die Menschen zueinander aufnehmen. Diese Beziehungen erfolgen aus den Intentionen der Menschennatur, die aber nicht einheitlich ist, sondern aus drei Gliedern besteht: aus Leib, Seele und Geist.

– Durch den Leib entstehen die vielfältigsten Bedürfnisse, welche den Menschen dazu führen, die Beziehung zu den anderen zu suchen, um die Bedürfnisse gemeinsam zu befriedigen. Daraus entsteht der Lebensbereich des Wirtschaftslebens.

– Die Seele lebt vermittelnd zwischen Leib und Geist, der sich im Ich repräsentiert. Die Seele wird in ihren Erlebnissen und Inhalten auf der einen Seite durch den Leib und die Einflüsse der physischen Welt und auf der anderen Seite von den Gesetzen einer moralisch-geistigen Welt bestimmt, zu der sich das Ich erheben kann. Um beide miteinander in ein Gleichgewicht zu bringen, entwickelt der Mensch die vielfältigsten Fähigkeiten, aus denen das gesamte Kultur- oder Geistesleben hervorgeht: mit dem Bildungswesen im Zentrum, in dem die grundlegenden Fähigkeiten entwickelt und ausgebildet werden, dem Gesundheitswesen und den Bereichen Religion, Wissenschaft und Kunst. Ja auch die Fähigkeiten, um die Bedürfnisse des Wirtschaftslebens auf die bestmögliche Weise zu befriedigen, gehören dazu.

– Der Geist, das Ich, jedes Menschen, das ihn über das Tier erhebt, fordert, dass er in seiner Würde von allen geachtet und nicht unterdrückt werde. Die Menschen bilden daher eine staatliche Gemeinschaft, in der bestimmte moralische Verhaltensweisen zu allgemein verbindlichen Rechten erhoben werden. Einerseits werden in die Integrität des Menschen eingreifende Taten rechtlich verbindlich geächtet und mit Strafe bedroht (Strafrecht), andererseits Tugenden gerechten Verhaltens zu verbindlichen positiven Rechten erhoben (Zivilrecht). Dies ist der dritte Lebensbereich, das Rechtsleben.2
Weitere Lebensbereiche gibt es nicht, alles ist in eines dieser Bereiche einzuordnen.

Indem der Mensch so mit anderen Menschen in Beziehung tritt, erweitert er das Leben über seinen individuellen Organismus hinaus in ein soziales Beziehungsgefüge, in einen sozialen Organismus. Dieser wird ihm in dem Maße optimale Entfaltungsmöglichkeiten bieten, indem er nach den Bedingungen des menschlichen Organismus gestaltet ist:

  • in ein Wirtschaftsleben, das die Bedürfnisse aller Menschen in Brüderlichkeit befriedigt;
  • ein Geistesleben, in dem sich die Fähigkeiten der Menschen ungehindert in Freiheit entfalten können;
  • ein Rechtsleben, in dem von der staatlichen Gemeinschaft für alle in gleicher Weise verbindlich, also nach dem Prinzip der Gleichheit, allgemeine Rechtsgrundsätze festgesetzt werden.

Diese Dreigliederung ist also keine theoretische, ausgedachte, nach der man die Gesellschaft von Grund auf gestalten müsste. Sie ist in der Realität des Lebens bereits vorhanden, weil sie ständig aus den drei unterschiedlichen Beziehungen des dreigliedrigen Menschen zu seinen Mitmenschen entsteht. Die unterscheidbaren Bereiche des Wirtschafts-, Rechts- und Kultur- oder Geisteslebens zeigen das ja auch. Nur können sie sich im allumfassenden Staat nicht ihrer eigenen Natur nach rein entfalten.

Die heutige Unterdrückung der Dreigliederung

Es ist offensichtlich, dass sich jeder Gesellschaftsbereich seinen eigenen Lebensbedingungen gemäß ungehindert entfalten können muss. Keiner darf von einem anderen irgendwie beherrscht werden. So wie der Leib nicht die Aufgaben des Geistes und der Geist nicht diejenigen der Seele übernehmen könnte, so kann auch nicht die Wirtschaft das staatlich-rechtliche Leben bestimmen, ohne dass die Gleichheit durch Interessen-Privilegierung beseitigt wird. Und so kann nicht der Staat das geistig kulturelle Leben organisieren, ohne dass die dort essentielle Freiheit eingeebnet wird.

Dies ist aber heute in ausgedehntem Maße der Fall. Der Staat hat in obrigkeitsstaatlicher Manier das gesamte Schulsystem in seinen dirigierenden Händen. Er gestaltet organisatorisch und über Lehrpläne auch inhaltlich das Schulsystem. Von der freien Entfaltung der Fähigkeiten, welche sich die unmittelbar mit den Kindern arbeitenden wissenschaftlich ausgebildeten Pädagogen erworben haben, kann keine Rede sein. Sie müssen ausführen, was ihnen der Obrigkeitsstaat befiehlt. –
Auch die Wissenschaft ist in staatlichen Hochschulen, Universitäten und Instituten nicht frei. Die vom Staat finanzierten Wissenschaftler haben entweder nur einen eingeschränkten Entfaltungs-Spielraum oder werden in weisungsgebundenen Instituten für politische Interessen regelrecht zur geistigen Prostitution gezwungen, wie die Ereignisse in der Corona-Krise drastisch gezeigt haben.3

Aber auch die Wirtschaft wirkt über abhängige, korrupte Politiker und übernationale Organisationen in Schule und Wissenschaft hinein.In der Corona-Krise ist die gesamte Impfkampagne des Staates im Profit-Interesse der Pharma-Industrie erfolgt.5 Andererseits greift der Staat mit Gesetzen und Verordnungen inhaltlich regulierend in das Wirtschaftsleben ein.
Diese chaotischen, vollkommen in die Dekadenz geratenen und Katastrophen zusteuernden Verhältnisse schreien geradezu nach der Befreiung der dreigliedrigen Gesellschaft aus ihrer Knechtung.

Jeder Lebensbereich braucht eine grundgesetzlich verankerte Unabhängigkeit mit eigener Selbstverwaltung, die aus den je eigenen Lebensbedingungen erfolgt und diese zur Geltung bringt. Dann können alle zusammenwirken und dadurch einen harmonischen sozialen Organismus entstehen lassen, in dem ein Bereich durch seine Existenz die anderen ermöglicht und stützt. Ein harmonisches Zusammenwirken und wechselseitiges Befruchten der drei Gesellschaftsglieder kann nicht zustande kommen, wenn sie sich ihrem inneren Wesen gemäß gar nicht entwickeln können.

Funktionale Gliederung

Diese Gliederung in drei gesellschaftliche Lebensbereiche ist keine räumliche, sondern eine funktionale.
Das Rechtsleben hat zwar in der Rechtsgemeinschaft des Staates sein Zentrum, durchdringt aber das Wirtschafts- und das Geistesleben, wo das allgemeine Recht des Staates maßgebend die dort abgeschlossenen individuellen rechtlichen Verträge, Vereinbarungen und Betriebsverfassungen bestimmt.
Das Kultur- oder Geistesleben ist zwar das Zentrum für die allgemeine zweckfreie Entwicklung der Fähigkeiten, diese werden aber auch im Wirtschafts- und im Staatsleben, auf die dortigen Zwecke ausgerichtet, entfaltet.
Und die Befriedigung der Bedürfnisse hat im Wirtschaftsleben ihr Zentrum, aber auch die Menschen jeder Einrichtung des Kultur- und des staatlichen Rechtslebens, ja auch des Wirtschaftslebens selbst, haben ihre spezifischen Bedürfnisse, die aus dem allgemeinen Wirtschaftsleben zu befriedigen sind.

Dreigliederung in kleineren Gemeinschaften

Letzteres deutet schon darauf hin, dass nicht nur die Gesamtgesellschaft, sondern auch jede einzelne Institution im Grunde dreigegliedert ist. Denn die Dreigliederung hat ihren Ursprung im dreigliedrigen Wesen des Menschen, der mit drei unterschiedlichen Intentionen Beziehungen zu anderen Menschen aufnimmt: der Intention der Bedürfnisbefriedigung, der Fähigkeitsentfaltung und der rechtlichen Vereinbarung. Diese entfalten sich zu anderen Menschen in jeder Gemeinschaft, gleichgültig, aus wieviel Menschen sie besteht.
Schon in der Zweiergemeinschaft der Ehe können viele Konflikte vermieden werden, wenn man sich ihrer verschiedenen Ebenen als Geist-, Wirtschafts- und Rechtsgemeinschaft bewusst ist.

Die Dreigliederung auch in kleineren Gemeinschaften durchzuführen, ist von großer Bedeutung, da diese sonst auch zu offenen oder versteckten autoritären Führungen tendieren und leicht Verletzungen der Brüderlichkeit, Freiheit und Gleichheit stattfinden.

Ein Wirtschaftsunternehmen hat den Zweck, mit Produkten oder Dienstleistungen Bedürfnisse der Menschen in der Gesamtgesellschaft zu befriedigen und gehört insofern dem Wirtschaftsleben an. Aber die Menschen im Unternehmen haben selbst auch Bedürfnisse: nach speziellen Produktionsmitteln wie Gebäuden, Maschinen, Büroeinrichtungen etc. sowie nach einem brüderlich angemessenen Einkommen. Sie entfalten auch auf den Unternehmenszweck ausgerichtete Fähigkeiten, wofür sie Freiheit benötigen. Und sie vereinbaren eine Betriebsverfassung und schließen Arbeitsverträge, die auf der Basis der Gleichheit beruhen müssen. Insofern ist auch die Betriebsgemeinschaft eines Wirtschaftsunternehmens dreigegliedert.

Eine Schule hat den Zweck, die Entwicklung der grundlegenden Fähigkeiten junger Menschen zu befördern und gehört insofern dem Kultur- oder Geistesleben an. Aber schon der Ausgangspunkt für eine Schulgründung ist wirtschaftlicher Natur, indem die Eltern das Bedürfnis nach diesen Dienstleistungen der Lehrer geltend machen. Die Lehrer ihrerseits haben das Bedürfnis nach Lehrmitteln, Gebäuden etc. und einem brüderlich angemessenen Einkommen. Im Unterricht der Kinder entfaltet jeder Lehrer seine speziellen, auf die Erkenntnisse des werdenden Menschen gegründeten pädagogischen Fähigkeiten, wofür er gegenüber den Eltern, Behörden und auch den anderen Lehrern völlig frei sein muss. Hier spielt sich das freie Geistesleben der Schule ab. Und die Schulverfassung, die Anstellungsverträge der Lehrer, sowie die Ausbildungsverträge mit den Eltern bilden das auf Gleichheit gegründete Rechtsleben.
So müssen die Lehrer auch eine Konferenz, in der sie sich pädagogisch beraten, was dem Geistesleben angehört, von einer Rechts-Konferenz unterscheiden, in der Beschlüsse z.B. über die Einstellung eines neuen Lehrers, die Kündigung eines Ausbildungsvertrages mit Eltern, die endgültige Aufnahme von Russisch in den Lehrplan oder den Bau einer neuen Turnhalle gefasst werden, wobei Letzteres in einem Gremium des Wirtschaftslebens vorbereitet sein muss.

Auch bei einem Tierschutzverein oder einer Weltanschauungs-Gesellschaft wird man die drei unterschiedlichen Beziehungsebenen des Kulturell-Geistigen, des Wirtschaftlichen und des Rechtlichen unterscheiden müssen.

Zum Streit unter den Verfechtern der Dreigliederung

Die Mehrzahl der Anthroposophen, die sich für die Realisierung der sozialen Dreigliederung einsetzen, ist der Ansicht, Rudolf Steiner habe sie nur auf die Gesamtgesellschaft bezogen, nicht aber auf Institutionen.

Der Waldorflehrer Dr. Valentin Wember hat diesem Punkt in seinem sonst sehr verdienstvollen Buch „Dreigliederung“ 6 ein eigenes Kapitel „Binnen-Dreigliederung in Schulen?“ gewidmet, in dem er schreibt: Die Dreigliederung beziehe sich nur auf die gesamte Gesellschaft, also auf die Makroebene. Wenn man glaube, man könne die Gesetzmäßigkeiten der Makroebene eins-zu-eins auf die Mesoebene übertragen, komme Unfug heraus. Man verwechsle z.B. die Verwaltung der Finanzen einer Schule mit dem Wirtschaftsleben. Aber das sei nicht sachgemäß, denn im Wirtschaftsleben gehe es um die Produktion von Gütern. –

Im Wirtschaftsleben geht es um die Befriedigung von Bedürfnissen nach Produkten und Dienstleistungen. Die Schule bietet pädagogische Dienstleistungen, für die sie ihrerseits finanzielle Leistungen benötigt. Das ist ein wirtschaftlicher Tauschvorgang.
V. Wember räumt selber ein, durch die wirtschaftliche Brille betrachtet, werde die Schule zu einem Dienstleistungsunternehmen. Aber der Blick durch die wirtschaftliche Brille sei für das Geistesleben, dem die Schule zugehört, nicht wirklich sachgemäß. –

Natürlich, die Hauptsache in der Schule ist das Geistesleben, das interne Wirtschaftsleben hat, neben dem internen Rechtsleben, nur eine dienende Funktion. Aber sie sind vorhanden.
So ist in einem Wirtschaftsunternehmen der wirtschaftliche Zweck die Hauptsache und das interne Geistes- und Rechtsleben erfüllen dienende Funktionen.

Wember geht in Kap. 2 selbst von den „Urphänomenen menschlichen Zusammenlebens“ aus: den Bedürfnissen, den Fähigkeiten und dem Streben nach Regeln des Zusammenlebens und schreibt: „Aus diesen drei Grundphänomenen entstehen drei gesellschaftliche Lebensbereiche.“
Die aus dem Menschen hervorgehenden „Urphänomene“ aber nun nur auf die Gesamtgesellschaft zu beziehen, ist willkürlich, denn auch in den Beziehungen zu weniger Menschen in kleineren Gemeinschaften machen sich aus der dreigliedrigen Natur des Menschen diese drei Urphänomene geltend. Das kann gar nicht anders sein und ist nicht von der Anzahl der Menschen abhängig.

Eine missverstandene Äußerung Rudolf Steiners

Die Verfechter der Ansicht, die Dreigliederung gelte nur für die Gesamtgesellschaft, berufen sich vielfach auf Äußerungen Rudolf Steiners im Vortrag vom 14. April 1919 (GA 190). Dort sagte er:

Ich bin gefragt worden, ob denn nicht innerhalb unserer Gesellschaft die Dreigliederung verwirklicht werden könnte: Wirtschaftsleben, Rechtsleben, geistiges Leben. – Man kann gewiss so etwas mit Worten auszusprechen, wenn man sehr gut drinnen steht in unserer Bewegung, wenn man es ganz ehrlich und tief meint mit unserer Bewegung. Aber es ist doch so, als ob man den Grundnerv unserer Bewegung gar nicht erfasst hätte, wenn man dieses sagt. Man hat gar nichts verstanden von dem, was ich über die soziale Frage gesprochen habe, wenn man denkt, unsere Gesellschaft hier könne man wie eine Sekte dreigliedern!“

Das reicht den Verfechtern einer einzig makrosozialen Dreigliederung, um daraus den Schluss zu ziehen, Rudolf Steiner habe die Dreigliederung nicht für Gemeinschaften und Institutionen der mesosozialen Ebene für anwendbar erklärt.
Aber man muss sich wie immer fragen, aus welchem Zusammenhang er das gesagt hat, konkret, welche Vorstellungen die Fragesteller von einer Dreigliederung der Anthroposophischen Gesellschaft gehabt haben. Rudolf Steiner schildert diese Vorstellungen anschließend:

Ja, meine lieben Freunde, wollen Sie denn das Allerschlimmste machen, wirtschaftliche Sektiererei treiben, indem Sie in dieser Gesellschaft eine gemeinschaftliche Wirtschaft führen innerhalb der anderen Wirtschaft draußen? Wollen Sie denn gar nicht verstehen, dass man sich heute nicht in egoistischer, wenn auch gruppenegoisti­scher Weise abschließen kann und das andere alles unberücksichtigt lassen! Sie wirtschaften doch mit der anderen Wirtschaft des hiesigen Territoriums. Sie beziehen doch Ihre Milch, Käse, Gemüse, dasjenige, was Sie brauchen, von einem Wirtschaftskörper, von dem Sie sich doch nicht isolieren können! … Sie würden sich ja ganz abschließen vom wirklichen praktischen Denken mit Bezug auf den Wirtschaftskreislauf der Welt, wenn Sie eine gruppenegoistische Wirtschaft für eine Sekte einrichten wollen.
Und das Rechtsleben: Gründen Sie einmal innerhalb unserer Ge­sellschaft den Rechtsstaat! Wenn Sie etwas stehlen, wird es ganz und gar bedeutungslos sein, wenn hier drei Leute zusammentreten und ur­teilen über dieses Stehlen. Es wird das äußere Gericht Sie schon in Anspruch nehmen und urteilen. In Bezug auf den Rechtsstaat werden Sie sich aus der äußeren Organisation wahrhaftig nicht herausziehen können.“

Rudolf Steiner hat sich also hier gegen den Versuch gewendet, ein vollkommen eigenständiges Wirtschafts-, Rechts- und Geistesleben innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft aufzubauen, die unabhängig und isoliert von der Gesamtgesellschaft bestehen sollen. Das wäre ein sektenmäßiger Unsinn.
Das hat aber mit dem überhaupt nichts zu tun, was, wie oben beschrieben, aus den speziellen dreifachen Beziehungen der Menschen in kleineren Gemeinschaften als Dreigliederung entsteht. Diese ist ja nicht isoliert von der Gesamtgesellschaft, sondern ihr Ausläufer, steht also mit ihr in unmittelbarer Verbindung.

Ratschläge für die Christengemeinschaft

Dass Rudolf Steiner das auch so gesehen hat, ergibt sich aus Ratschlägen, die er im 1. Priesterkurs (GA 342) im Vortrag vom 13.6.1921 den kommenden Pfarrern der Christengemeinschaft zur Gemeindebildung gegeben hat:

Was Sie also in erster Linie werden suchen müssen, das ist schon die Gemeinschaftsbildung. Und da werden Sie nicht anders können, wenn Sie zu einem wahrhaftigen, zu einem wirklichkeitsgetränkten Ziel kommen wollen, als praktisch Dreigliederung zu treiben, sich wirklich bewusst zu sein, wie man praktisch Dreigliederung treiben kann. Sie brauchen dazu gerade in Ihrem Berufe absolut nicht in abstrakter Weise für die Dreigliederung zu agitieren. Es ist gerade in Ihrem Beruf gut [möglich], für die Dreigliederung ganz praktisch zu arbeiten… (S. 49,50)

Dazu gehört allerdings, dass die Gemeindemitglieder durch Sie das Bewusst­sein bekommen, in einer gewissen Brüderlichkeit zu leben. Die Gemeinden müssen konkrete brüderliche Gefühle in sich haben, und sie müssen ihren Prediger-Leiter als eine selbstverständliche Autori­tät anerkennen, an die sie sich auch wenden in konkreten Fragen. Das heißt, Sie müssen zuerst in diesen Gemeinden, die Sie nicht in agi­tatorischer Weise Brüdergemeinschaften oder dergleichen zu nennen brauchen, eine selbstverständliche Autorität vor allen Dingen sich verschaffen – so sonderbar es zunächst erscheint – in Bezug auf das Wirtschaftsleben. … (S. 51)
Wir arbeiten die Dreigliederung (in Stuttgart in der Dreigliederungsbewegung, hl) aus dem Gesamten des sozialen Organismus heraus. Für Ihren Beruf handelt es sich aber um etwas anderes. Für Ihren Beruf handelt es sich darum, jedes der drei Glieder – die ja, auch wenn sie nicht richtig organisiert sind, eben in Wirklichkeit doch da sind (Hervorhebungen hl) -, jedes dieser drei Glieder mit religiös-geistlichem Leben zu durchdringen; so dass – obwohl völlige Freiheit des Rat-holens herrscht innerhalb der Gemeinden, innerhalb derer sich ja natürlich auch das Wirtschaftsleben abspielt – gewissermaßen die selbstverständliche Voraussetzung sein muss, dass man in den wirtschaftlichen Dingen, bei denen es sich darum handelt, dass geisti­ges Leben hineinfließt in die Gemeinde, die Entscheidung bei dem Prediger, bei dem Pfarrer holt. (S. 52)

Es ist ganz zweifellos notwendig, dass die Ehegesetzgebung … gewissermaßen sich hineinfügt in die Dreigliederung des sozialen Organismus. Dazu ist aber natürlich notwendig, dass deutlich gefühlt wird gegenüber der Ehe, dass sie in ihrer eigenen Institution durchaus ein Bild des dreigliedri­gen sozialen Organismus darstellt. Sie ist erstens eine Wirtschaftsge­meinschaft und muss sich hineingliedern in den sozialen Organismus, insofern er seinen wirtschaftlichen Teil hat. …
Das zweite ist, dass das Rechtsverhältnis deutlich empfunden wird als ein Verhältnis für sich, und dass der Staat nur in das Rechtsverhält­nis der Ehe hineinzureden hat … Dagegen werden Sie als Ihre ureigene Angelegenheit innerhalb der religiösen Gemeinschaft den geistigen Segen der Ehe beanspruchen müssen in einer völlig freien Weise aus Ihrer Entscheidung heraus. … (S. 54)

Also, Sie werden Ihren Gemeindemitgliedern das Bewusstsein bei­bringen müssen, dass der eigentliche innere geistige Kern der Ehe mit dem religiösen Leben zu tun hat, und dass durchaus auf diesem Gebiete Dreigliederung praktisch werden muss, das heißt, dass alle drei Teile der Ehe allmählich im sozialen Leben ihre Ausgestaltung finden müssen, dass also alle diese drei Dinge drinnen sein müssen.
Man soll sich Dreigliederung nicht so vorstellen, dass man ein Pro­gramm utopistischer Art aufstellt und sagt, man soll die Dinge dreigliedern. Man gliedert sie in bester Art in diese drei Glieder, wenn man erfasst, dass in jeder Institution des Lebens die Dreigliederung implizit enthalten ist, und wie man die einzelnen Dinge so gestalten kann, dass die Dreigliederung zugrunde liegt.“
(S. 55)

Rudolf Steiner kommt auch auf die lokalen Gemeinschaften der Anthroposophischen Gesellschaft, die „Zweige“, zu sprechen. Daraus will ich nur die folgenden Sätze zitieren:

Und weil die anthroposo­phische Bewegung heute noch so etwas Universelles sein muss, kön­nen diese anthroposophischen Zweige nicht eigentlich zu einem wirklichen Leben kommen, denn sie pendeln hin und her zwischen dem religiösen Element und dem mehr auf alle Zweige des Lebens gerichteten geistigen Element. Sie kommen dadurch natürlich auch nicht zu einer wirklichen Brudergesinnung; sie kommen dadurch überhaupt nicht zu einem Erfassen der sozialen Aufgabe, die darin besteht, dass man in kleinen Gemeinden vorbildlich dasjenige konkret begründet, was dann in der Menschheit sich ausbreiten soll…“ (S. 60)

Daraus ergibt sich eindeutig, dass Rudolf Steiner ganz selbstverständlich auch kleinere Gemeinschaften, sogar die Zweiergemeinschaft der Ehe, ja „jede Institution des Lebens“ dreigliedrig gesehen hat. Und er sah es als eine soziale Aufgabe an, dass man kleine Gemeinschaften bewusst dreigliedrig gestaltet, damit sie als Vorbilder dienen für die in der Menschheit auszubreitende Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus. Mit dieser sozialen Aufgabe können natürlich zunächst nur die Anthroposophen gemeint sein, denen er die Realität der Dreigliederung zuerst dargestellt hat.

Fazit

Was hätte es bedeutet, wenn die Anthroposophen im Laufe der vergangenen hundert Jahre alle die von ihnen gegründeten Gemeinschaften und Institutionen, wie Waldorfschulen, heilpädagogische Heime und Schulen, Wirtschaftsunternehmen, allmählich dreigliedrig gestaltet hätten? Es wären ungeheuer zahlreiche Übungs- und Anschauungsstätten dreigliedrigen Denkens, Unterscheidens und Gestaltens entstanden, die als eindrucksvolle Vorbilder für die gesamtgesellschaftliche Dreigliederung hätten wirken können. Die Welt wäre heute weiter.
Das Desinteresse der meisten Anthroposophen und die Fixierung der allermeisten Dreigliederer auf Vorurteile haben es verhindert.

So harret die Idee der „Dreigliederung des Sozialen Organismus“ des weitschauenden Rudolf Steiner noch immer ihrer Realisierung. Nach der nationalsozialistischen Diktatur mit dem verheerenden 2. Weltkrieg und der kommunistischen Diktatur in der DDR entwickeln sich die Verhältnisse wieder auf einen neuen Totalitarismus mit Krieg zu, den nur die Machtstrukturen des omnipotenten Obrigkeitsstaates möglich machen, die von Machtpsychopathen der dekadenten Parteien besetzt werden. Machtstrukturen können niemals vollständig kontrolliert, und psychische Grenzgänger nicht an suggestiven Methoden des Machtmissbrauchs gehindert werden.

In einer dreigegliederten Gesellschaft mit einem vom staatlichen Rechtsorganismus unabhängigen und relativ selbständigen Geistesleben und Wirtschaftsleben der selbstbestimmten Bürger könnten diese niemals für einseitige politische Ziele instrumentalisiert werden. Die Beziehungen zu anderen Ländern würden auch nicht mehr zentral durch den Einheitsstaat erfolgen, sondern jedes der drei Lebensbereiche des sozialen Organismus nähme zu der jeweils entsprechenden Organisationen der anderen Länder Beziehungen auf. Und niemals könnte der Rechtsorganismus die Gesellschaft diktatorisch in einen Krieg führen, denn selbstverständlich müssten dazu die selbständigen Organisationen des geistig-kulturellen Lebens und des Wirtschaftslebens zustimmen.

Wer die Lage vorurteilslos anschaut, wird zu dem Urteil kommen müssen: Entweder der omnipotente Machtstaat kann so aufgelöst werden, dass er durch die befreite Dreigliederung des sozialen Organismus ersetzt wird, oder der schon einsickernde neue Totalitarismus wird uns in die nächste Katastrophe und den möglicherweise endgültigen Abgrund führen.

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1   Vgl. https://fassadenkratzer.wordpress.com/2014/09/19/der-staat-als-instrument-der-machtsucht-einzelner/
2   Auf diese Zusammenhänge hat erstmals der Begründer der Anthroposophie, Rudolf Steiner (1861-1925), in Schriften und zahlreichen Vorträgen hingewiesen, z. Bsp. in:
– Die Kernpunkte der Sozialen Frage, GA 23
– Aufsätze über die Dreigliederung in GA 24
3   https://fassadenkratzer.wordpress.com/2024/04/02/funf-corona-lugen-des-rki-auf-politische-weisung-analysiert-von-prof-homburg/
4   https://fassadenkratzer.wordpress.com/2014/01/03/der-marktradikale-griff-der-eu-nach-der-schulischen-bildung/
https://fassadenkratzer.wordpress.com/2014/01/17/wie-die-eu-mit-dem-bologna-prozess-die-hochschulen-okkupiert/
https://fassadenkratzer.wordpress.com/2023/05/24/der-leyen-effekt-und-warum-wir-europa-nicht-den-leyen-uberlassen-sollten/
6   Valentin Wember: Dreigliederung, Stratosverlag Tübingen, 2023, 4. Auflage